Neudeck, Grosser und Oestreicher fordern Mut zur Israel-Kritik

Eine besondere Pflicht

Rupert Neudeck will nicht mehr schweigen. Dass er zu wenig rede, hat dem wortgewandten Gründer des Komitees Cap Anamur zwar wohl noch niemand vorgeworfen. Doch er selbst fand sich bei einem Thema immer viel zu still: Als Deutscher habe er bei der Bewertung der israelischen Politik gegenüber den Palästinensern lange Probleme gehabt.

 (DR)

Rupert Neudeck will nicht mehr schweigen. Dass er zu wenig rede, hat dem wortgewandten Gründer des Komitees Cap Anamur zwar wohl noch niemand vorgeworfen. Doch er selbst fand sich bei einem Thema immer viel zu still: Als Deutscher habe er bei der Bewertung der israelischen Politik gegenüber den Palästinensern lange Probleme gehabt. Im vergangenen Jahr schrieb Neudeck ein Buch darüber. Er wolle über die Ungerechtigkeiten reden, weil das als Deutscher gerade angesichts der Geschichte "seine besondere Pflicht" sei, sagte der Troisdorfer bei einem Podiumsgespräch der Karl-Rahner-Akademie.

These: Israel verstößt gegen das Völkerrecht
Unter dem Motto "Wir wollen nicht schweigen" lud die Akademie neben Neudeck noch zwei jüdische Referenten ein, deren Familien einst vor den Nazis flohen: Alfred Grosser, emeritierter Professor an der Pariser Sorbonne, und Kanonikus Paul Oestreicher aus Brighton in England. Die zentrale These aller drei Männer lautete, Israel verstoße mit seiner Behandlung der Palästinenser häufig gegen das Völkerrecht. Aus Deutschland komme dazu aber wegen übertriebener "political correctness" zu wenig Kritik.

Ihre kritische Haltung begründeten sie mit ihren Erfahrungen aus der Besatzung und dem Libanon-Krieg. Im Kampf um Gerechtigkeit in Israel seien die Friedensgruppen Helden. Zum Beispiel die jüdischen Frauen von Machsom Watch, die dokumentieren, wie sich Soldaten an den Checkpoints verhalten. Oestreicher fühlte sich durch die Friedensaktivisten, die in Israel wenig anerkannt sind, gar an die Geschwister Scholl erinnert. Israel sei zwar kein faschistischer Staat, "oft kommt es aber nah daran", so Oestreicher wörtlich. "Gewisse Elemente im israelischen Staat" seien "vergleichbar mit manchen Elementen im faschistischen Deutschland". Deutsche dürften "nicht schweigen, wenn sie Ungerechtigkeiten erkennen".

Grosser verwahrte sich gegen diesen Faschismus-Vergleich: "Israel ist eine Demokratie", betonte er. In einer Demokratie sei es gefahrlos, seine Meinung zu sagen. Daher sei jeder umso mehr aufgerufen, Kritik tatsächlich zu äußern. Als Beispiel nannte Grosser die Bombardierung ziviler Ziele im Libanon, die er als Kriegsverbrechen einordnet: Einige libanesische Städte sähen aus "wie Köln nach der Bombardierung". In Deutschland laufe jedoch bei einer Kritik an Israel stets ab, was Martin Walser als "Moralkeule" moniert habe: Immer heiße es: "Ihr dürft das nicht, wegen Auschwitz". Selbst in der deutschen und französischen Presse gebe es eine Selbstzensur in Sachen Israel, so Grosser.

Kritik an Veranstaltung: Die fehlende Gegenstimme
Eine Gegenmeinung fehlte auf dem Podium der Rahner-Akademie, was zum Abschluss der Veranstaltung viele gerade jüdische Zuhörer monierten. Schließlich nahm Moderator Joachim Frank, stellvertretender Chefredakteur des Kölner Stadt-Anzeigers, die deutsche Presse in Schutz. Er sei frei in seiner Berichterstattung und könne nicht sehen, dass die Medien vor einer Kritik an Israel zurückschreckten, sagte der Journalist und warnte davor, antisemitischen Klischees in die Hände zu spielen.

Alle drei Referenten betonten ihre Verbundenheit mit Israel: "Ich liebe dieses Land", sagte Oestreicher. Der einzige Weg zum Frieden sei jedoch eine israelische Politik, die dem palästinensischen Volk ermögliche, einen wirklichen eigenen Staat zu gründen, "keinen Pseudostaat". Grosser resümierte, in Israel könne sich nur etwas ändern, wenn ein neues Wahlrecht die Macht der extremistischen Kleinparteien schmälere. Für die politische Elite der Palästinenser fand Neudeck harte Worte: Sie sei "manchmal eine Saubande". Dabei brauchten die Palästinenser eine "Führung, die in der Lage ist, eindeutige Signale auszusenden". Seine Idee: Palästina an die UNO zurückzugeben. So wie derzeit sei es einfach unregierbar.
(KNA)