Nepal kämpft mit dem Erbe des Bürgerkriegs

Junge Republik im Umbruch

Vor zwei Jahren kam in Nepal der Frieden. Damals mussten die Maoisten ihre Waffen unter UN-Aufsicht abgeben, seitdem sind sie in Lagern untergebracht. Nun wird ihre Zukunft wird heiß diskutiert - eine junge Republik muss das Erbe ihres Bürgerkrieges bewältigen.

Autor/in:
Michael Ruffert
 (DR)

Auf einer grünen Wiese spielen Mädchen in Khaki-Uniformen Fußball. Laut feuern sie sich gegenseitig an. "Morgens spielen die Jungen, abends die Mädchen", sagt ein junger Wachposten freundlich, der in der Nähe steht. Er und seine Kollegen tragen keine Waffen, aber sie kontrollieren die Zufahrt. Nur einige hundert Meter entfernt sieht man Wellblechdächer in der Sonne blitzen. Dort leben rund 6.000 ehemalige maoistische Guerillakämpfer, darunter etwa 900 Frauen. Das Lager Shaktikhor liegt im Süden Nepals in einer Tiefebene, die an Indien grenzt.

Nach dem Friedensschluss vor zwei Jahren, im November 2006, gaben die Maoisten ihre Waffen unter UN-Aufsicht ab. Im ganzen Land sind nach UN-Angaben derzeit rund 19.000 ehemalige maoistische Kämpfer in sieben Lagern untergebracht. Ihre Zukunft wird heiß diskutiert: Die Maoisten verlangen, dass ihre Kämpfer in die nepalesische Armee integriert werden. "Wenn das nicht passiert, ist der Friedensprozess nicht abgeschlossen", sagt der stellvertretende maoistische Brigade-Kommandeur, der den Kampfnamen "Abiral" trägt. Die junge Republik Nepal muss das Erbe des Bürgerkrieges bewältigen.

Kommandeur "Abiral" erlaubt es den westlichen Besuchern nicht, das Lager zu betreten. Dafür fährt er mit einem Moped bis zum Kontrollposten vor, als Sozius nimmt er einen Mitarbeiter mit. Auf der Wiese, auf der die jungen Maoistinnen ihr Fußballspiel beendet haben, nimmt er im Schneidersitz Platz. Der Kommandant berichtet von vielen Problemen im Lager: Es gebe Durchfallerkrankungen, das Trinkwasser reiche nicht, etwa 1.500 Kämpfer müssten noch in Zelten schlafen.

"Soldaten wollen Soldaten bleiben"
Die Deutsche Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit (GTZ) hat einige der Lager und die umliegenden Dörfer unterstützt, um den Friedensprozess voranzubringen. "Dabei ging es vor allem um sauberes Wasser und die Gesundheitsversorgung", sagt der GTZ-Experte Horst Matthäus. Nach seiner Ansicht ist die Zukunft der ehemaligen Kämpfer ein "wesentlicher Aspekt" im Friedensprozess. Denkbar sei aber auch, sie statt in die Armee in das Zivilleben zu integrieren, etwa durch Hilfe bei der Ausbildung.

Die Maoisten lehnen das noch ab. "Soldaten wollen Soldaten bleiben", sagt Kommandeur "Abiral". Und er hofft, dass sein ehemaliger Rebellenchef Pushpa Kamal Dahal diese Forderung durchsetzt. Denn der Mann, der den Kampfnamen "Prachanda" trägt, ist heute Premierminister. Aber er regiert nicht alleine. Die neue Regierung wird von Maoisten geführt, aber beteiligt ist eine zweite kommunistische Partei und kleinere Parteien. Der traditionsreiche "Nepalesische Kongress", der in der Opposition blieb, sieht die Integration skeptisch - die meisten Maoisten seien für die gut ausgebildete nepalesische Armee nicht geeignet.

Seit 28. Mai 2008 ist Nepal Republik
Integration heißt, dass ehemalige Feinde nebeneinander in einer Armee dienen müssten. Denn die Maoisten hatten zehn Jahre lang einen Guerillakrieg gegen Armee und Polizei geführt. Rund 15.000 Menschen kamen ums Leben. Der Aufstand trug dazu bei, dass die seit 239 Jahren herrschende und einst hoch geschätzte Shah-Dynastie abgesetzt wurde. Der letzte König Gyanendra hatte im Februar 2005 alle Macht an sich gerissenen, das Parlament aufgelöst und den Ausnahmezustand verhängt.
Gegen sein Regime erhob sich eine friedliche Volksbewegung, es kam zum Bündnis zwischen den Maoisten und den bürgerlichen Parteien. Bei der "April-Revolution" 2006 musste der König die Regierungsgeschäfte abgeben. Die Monarchie war am Ende. Seit 28. Mai 2008 ist Nepal Republik.

Bei den Wahlen zur Verfassungsgebenden Versammlung, das gleichzeitig als Übergangsparlament fungiert, wurden die Maoisten überraschend zur stärksten Fraktion. Auch im Chitwan-Distrikt, in dem das Lager Shaktikhor liegt, erhielten sie die Mehrheit. Verteidigungsminister Ram Bahadur Thapa wurde direkt gewählt. Die Bauern diskutieren heftig über die politische Lage: Manche sagen, die Maoisten seien nur gewählt worden, damit das Kämpfen aufhöre. Einige ältere wollen den König zurück. Junge Frauen freuen sich, dass Nepal jetzt demokratisch ist.

Doch letztlich haben sie andere Probleme: Der Mann der 35-jährigen Seti Maya Thapa Mayar aus dem kleinen Dorf Lafagaun wurde vor fünf Jahren als Polizist von Maoisten auf Streife erschossen - damals war sie mit der jüngster Tochter Bijita schwanger. Seitdem erhält sie umgerechnet 60 Euro jährlich als kärgliche Rente von der Regierung, aber nur noch für zwei Jahre. Die junge Frau betreibt ein wenig Viehzucht, aber sie macht sich Sorgen um die Zukunft ihrer beiden Kinder: "Ich weiß nicht, ob ich sie noch zur Schule schicken kann, wenn das Geld der Regierung nicht mehr kommt."