NDR-Fernsehpastor flüchtete mit seiner Familie aus Georgien

"An einen Krieg hat niemand geglaubt"

"Das Schlimmste ist diese völlig Ohnmacht, die mich kaum schlafen lässt", sagt Jan Dieckmann. Er ist Pastor der evangelischen Radio- und Fernsehkirche im NDR in Hamburg.

Autor/in:
Ulrike Millhahn
 (DR)

Vor einer knappen Woche flüchtete er mit seiner georgischen Ehefrau Khatuna Dieckmann-Dolidze und der vierjährigen Tochter Natalie Hals über Kopf aus dem Kriegsgebiet im Kaukasus. Wie jedes Jahr verbrachte die Familie dort ihren Sommerurlaub bei den Eltern, Großeltern und Verwandten Khatuna Dieckmann-Dolidze war schon seit zwei Monaten mit Natalie zu Besuch in Georgien. "Wir wollten ein Sommerhaus in meinem kleinen Heimatdorf bei Gori kaufen", erzählt sie. Das Dorf liegt nur 30 Kilometer von der südossetischen Grenze entfernt. Zwar hätten schon vor einem Monat russische Kampfflugzeuge die Grenze nach Georgien überflogen, auch die Schießereien im Grenzgebiet, die es jeden Sommer gebe, hätten zugenommen. "Doch an einen Krieg hat niemand geglaubt."

Das Gebiet sei schon immer eine unruhige Region gewesen, sagt
Dieckmann-Dolidze: "Es gab aber nie eine geschlossene Grenze, die Menschen bewegten sich täglich hin und her." Fast jede dritte Familie dort habe ossetische Wurzeln, sie selbst auch. "Es handelt sich hier nicht um einen Krieg der Völker gegeneinander", sagt die Musikerin, die seit zwölf Jahren in Deutschland lebt. "Es ist ein Krieg der Kreml-Clique gegen Georgien." Ihr Ehemann pflichtet ihr bei: "Trotzdem war es natürlich ein Riesenfehler von Präsident Michail Saakaschwili, diesen Konflikt zu schüren."

Das weiß auch Dieckmann-Dolidze. Es klingt verzweifelt, wenn sie
sagt: "Man kann eben nicht mit bloßen Händen gegen Goliath kämpfen." Gleichzeitig schwingt viel Stolz auf ihre Heimat in ihren Erzählungen mit. Georgien habe schon immer einen großen Freiheitsdrang verspürt.
Bereits 1989 habe es um seine Unabhängigkeit gekämpft. Ihre eigene Sprache und Schrift hätten die Georgier auch zu Sowjetzeiten behalten.

Besonders stolz seien sie auf ihre Religion. "Wir sind nach Armenien das zweite Land überhaupt, das seit dem fünften Jahrhundert das Christentum als Staatsreligion hat." Seitdem gebe es die georgisch-orthodoxe Kirche, die im Volk tief verwurzelt sei.

"Vor fünf Jahren gab es noch nicht einmal Verkehrsampeln"
Seit Saakaschwili 2004 die Macht übernahm, habe sich das Land völlig verändert, sagt Jan Dieckmann. "Vor fünf Jahren gab es noch nicht einmal Verkehrsampeln, geschweige denn eine Infrastruktur." Mit europäischer und US-amerikanischer Hilfe sei Georgien geradezu explodiert. Überall herrsche Aufbruchstimmung: "Deshalb geht es den Russen wohl auch darum, den Virus von Freiheit und Demokratie mit Gewalt einzudämmen."

Unter dieser Gewalt leidet auch die Familie von Khatuna Dieckmann-Dolidze. Bei der Bombardierung Goris wurde eine ihrer Cousinen getötet, deren Mann verlor beide Beine. Ihre Verwandtschaft hat sich inzwischen bei ihren Eltern in Tiflis versammelt. "Meine Mutter sagte mir gestern am Telefon, dass die Häuser in unserem Heimatdorf geplündert wurden."

Als Dieckmanns in Tiflis die ersten Bilder des zerstörten Gori im Fernsehen sahen, wollten sie sofort nach Deutschland zurück. Doch der Flughafen war geschlossen, überall herrschte Chaos. Ein Taxi brachte sie schließlich über die armenische Grenze. Von Eriwan flogen sie über Prag nach Hannover. Von hier aus verfolgen sie nun stündlich die Nachrichten.

Khatuna Dieckmann-Dolidze will sich von ihrer Angst nicht beherrschen
lassen: "Jeder Georgier wird für seine Unabhängigkeit kämpfen. Es hat unser Land schon immer gegeben, und es wird Georgien auch in Zukunft geben."