In Namibia steht ein Kirchenprojekt zur Armutsbekämpfung auf der Kippe

Menschenwürde für acht Euro

Auch nach der Unabhängigkeit liegt in Namibia die Arbeitslosigkeit bei 52 Prozent, die Unzufriedenheit in der Bevölkerung wächst. Auch die Hoffnung der Kirchen, die Entwicklung durch ein bedingungsloses Grundeinkommen anzukurbeln, schwindet derzeit.

Autor/in:
Marlene Grund
 (DR)

Hundert Dollar monatlich - etwa acht Euro - an bedingungslosen Grundeinkommen veränderten das Leben der früheren Farmarbeiterin Frieda Nembwaya aus dem namibischen Dorf Otjivero. Die Frau mit den roten Strähnen im schwarzen Haar war wie die meisten Einwohner der 1.200-Seelen-Gemeinde auf diesem Stück Land zwischen den Stacheldrahtzäunen der Farmen gestrandet, in einer Wellblechhütte weitab jeder größeren Stadt, ohne Aussicht auf ausreichend Nahrung, Arbeit und Zukunft. Mit dem Geld aus dem Basic Income Grant (BIG) eröffnete sie eine Bäckerei. "Seither verdiene ich Geld, habe ein größeres Haus, kann das Schulgeld für die Kinder zahlen und sogar sparen", sagt sie stolz.



Vor vier Jahren wurde das namibische Dorf Otjivero, rund 100 Kilometer östlich der Hauptstadt Windhuk, zum Hoffnungsträger für alle, die Strategien gegen Armut suchen. Der rheinische Präses Nikolaus Schneider registrierte bei seinem zweiten Besuch der Dorfgemeinschaft "mit Erstaunen und tiefer Bewegung", welch enorme Verbesserungen das Pilotprojekt zum bedingungslosen Grundeinkommen bewirkt habe. Nur wenige Euro in Monat für jeden Einwohner reichten aus, den täglichen Kampf ums nackte Überleben zu beenden und einen kleinen florierenden Wirtschaftskreislauf in Gang zu setzen.



Zwischen Dankbarkeit und Angst

Die Delegation der rheinischen Kirche traf auf selbstbewusste Menschen, voller Hoffnung und Zukunftsperspektiven. Immer noch stehen Wellblechhütten unter den ausladenden Schirmakazien des Dorfes, doch nun hat die Regierung auch für Wasserleitungen, Toiletten und ein Postamt gesorgt. Mit BIG verschwand die Unterernährung, es war Geld für Impfungen und Schulbesuche da und erstmals hat ein Kind aus Otjivero Abitur gemacht. "BIG hat euch nicht reich gemacht, aber euch Würde gegeben", sagte Schneider, der auch Ratsvorsitzender der Evangelischen Kirche in Deutschland ist.



Doch dicht neben Stolz und Dankbarkeit liegt bei den Bewohnern von Otjivero auch die Angst um die Zukunft. Noch hängt der Fortschritt im Dorf von den monatlichen Infusionen durch das Grundeinkommens ab. "BIG sollte weitergehen, nicht nur für uns, sondern für alle, die noch mehr leiden", sagte eine Frau beschwörend. "Ich habe Angst, dass sie uns das Geld wegnehmen".



Der evangelisch-lutherische namibische Bischof Zephania Kameeta hält die Ängste für berechtigt: Derzeit steht das Projekt, das laut Bischof so viele Menschen in ihrem Kampf um Gerechtigkeit in der Welt ermutigte, auf der Kippe. "Wir wissen nicht, wie es weitergeht", sagt er mit Blick auf die zur Neige gehenden Finanzmittel. In den nächsten Tagen wollen die Kirchen über Perspektiven für BIG beraten.



Dem Feldversuch, der seit 2008 von den Evangelisch-Lutherischen Kirchen, Gewerkschaften und Nichtregierungsorganisationen in Namibia getragen wird, fehlt die Unterstützung der Regierung. Eine staatliche Kommission legte der namibischen Regierung zwar schon vor Jahren die Einführung des Grundeinkommens zur Überwindung der scharfen sozialen Gegensätze im Land nahe, doch nach wie vor gilt, was Bischof Kameeta sagt: "Wenn es um das bedingungslose Grundeinkommen geht, ist die Regierung sehr zurückhaltend."



"Fast eine Katastrophe"

Sie sorgte für die Infrastruktur des Dorfes mit Wasserleitungen, Elektrizität und der Ausgabe von kostenlosen Aids-Medikamenten, doch trat sie auch Zweifel an der Bedingungslosigkeit des Grundeinkommens los. Die Hoffnung der Projektträger, dass BIG einen "Schneeball-Effekt" habe und als Modellfall auf ganz Namibia ausgeweitet werde, scheint in weite Ferne gerückt.



Für Präses Schneider ist das drohende Scheitern "fast eine Katastrophe". Das bedingungslose Grundeinkommen sei eine Chance, "die Grundbedürfnisse eines jeden Mitglieds der Gesellschaft abzusichern", sagte Schneider. Dies sei die Pflicht eines jeden Staates.



Den Vorwurf, ein Pilotprojekt zum Grundeinkommen sei ein kolonialer Import, wies er als Thesen "ideologischer Eiferer" zurück. Die rheinischen und westfälischen evangelischen Kirchen sowie die Vereinigte Evangelische Mission hatten den Aufbau des auf zwei Jahre angelegten Pilotprojekts in Namibia maßgeblich unterstützt. Wegen der Erfolge bei Armuts- und Kriminalitätsbekämpfung in Otjivero wurde BIG auch nach Auslaufen der ersten Phase in reduziertem Umfang weitergeführt. Eine weitere finanzielle Unterstützung durch die rheinische Kirche zum Überleben des Projektes wollte Präses Schneider weder zusichern noch ausschließen. "BIG war für uns ein Wunder", sagte eine Frau aus Otjivero. Die Dorfbewohner hoffen, dass dieses Wunder anhält.