Nadia Murad kämpft für die Anerkennung der IS-Gräueltaten

Keine Rache, sondern Gerechtigkeit

Sie hat Schreckliches erlebt. Trotzdem wirkt sie stark. Am Dienstag wird die Jesidin Nadia Murad Bassi mit dem Sacharow-Preis ausgezeichnet. Wer ist die Frau, die vor dem IS floh und jetzt für Gerechtigkeit kämpft?

Autor/in:
Michael Jacquemain
Menschenrechtsaktivistin Nadia Murad / © Julian Stratenschulte (dpa)
Menschenrechtsaktivistin Nadia Murad / © Julian Stratenschulte ( dpa )

"Nadia Murad muss auf sich aufpassen." Wenn Jan Ilhan Kizilhan über die 21-Jährige UN-Sonderbotschafterin gegen den Menschenhandel spricht, merkt man dem baden-württembergischen Trauma-Experten an, dass er besorgt ist über die Aufmerksamkeit, die die junge Jesidin weltweit erregt. Am Dienstag erhält sie gemeinsam mit Lamija Adschi Baschar den mit 50.000 Euro dotierten Sacharow-Preis für Menschenrechte des EU-Parlaments.

Ihre Bekanntheit resultiert aus dem schrecklichen Schicksal als Opfer der Terrormiliz "Islamischer Staat" (IS) - und ihrer Art, öffentlich damit umzugehen. Murad wuchs in Kocho in der irakischen Region Sindschar auf, wo sie im August 2014 von IS-Truppen entführt wurde. Bei dem Überfall auf das Dorf starben ihre Mutter und sechs Brüder.

Abgeschirmt von der Öffentlichkeit

In der Gegend um Mossul kam sie in Gefangenschaft, sie wurde versklavt, vergewaltigt, gedemütigt. Nach drei Monaten konnte sie fliehen. In einem Flüchtlingslager hörte sie von einem Sonderprogramm, das die baden-württembergische Landesregierung für rund 1.000 traumatisierte Frauen und Kinder aus dem Irak und aus Syrien starten wollte - allesamt IS-Opfer. Sie kam tatsächlich nach Deutschland und gehört heute zu dem Kontingent, das abgeschirmt von der Öffentlichkeit die Grauen der Traumata im Südwesten Deutschlands verarbeiten soll.

Jesidische Flüchtlinge / © Stefanie Järkel (dpa)
Jesidische Flüchtlinge / © Stefanie Järkel ( dpa )

Seitdem hat sich ihr Leben radikal verändert, aber ganz anders als erwartet. Denn sie kämpft jetzt für die Anerkennung der IS-Gräuel als Völkermord und die Freiheit anderer Jesiden, die noch unter dem Terror der Fanatiker leiden müssen. Mit Erfolg. Denn mit Nadia Murad bekamen die Opfer der islamistischen Schreckensherrschaft ein Gesicht.

Nominiert für Friedensnobelpreis 

Im September ernannte sie UN-Generalsekretär Ban Ki Moon zur Sonderbotschafterin und begründete das mit ihrem Mut, nach dem Missbrauch und den Menschenrechtsverletzungen nun gegen solche Verbrechen öffentlich anzukämpfen. Unterstützt wird sie dabei von der Menschenrechtsanwältin Amal Clooney. Die Juristin will den Fall vor den Internationalen Strafgerichtshof nach Den Haag bringen. Im Oktober erhielt Nadija Murad den Vaclav-Havel-Menschenrechtspreis, für den Friedensnobelpreis war sie auch nominiert.

Anfang Dezember hält sie bei einer Sondersitzung im baden-württembergischen Landtag wieder eine bewegende Rede, spricht gefasst über ihre Familie, dankt dem Land für die Aufnahme. Und wiederholt, was ihr persönlicher Antrieb zu sein scheint: Sie habe überlebt, um von den Verbrechen des IS zu sprechen; sie wolle keine Rache, sondern Gerechtigkeit. Am Ende stehen alle Abgeordneten auf und applaudieren.

Symbolfigur im Kampf gegen den IS

Das alles ist sehr viel für eine junge Frau, die aus einer streng patriarchalisch geprägten Kultur stammt und Unsagbares erlebt hat. Für Kizilhan, den medizinischen Leiter zur Versorgung des Sonderkontingents, gibt es auch die andere Ebene: Murad müsse auf sich achten, sich ausruhen, entspannen und nicht noch mehr Termine wahrnehmen. Nach seinen Angaben nahm die Jesidin nur einige Stunden Therapie in Anspruch. Dann nutzte die "volljährige erwachsene Frau" ihre zunehmende Bekanntheit, um auf ihr Volk aufmerksam zu machen.

Sie habe sich für diesen Weg entschieden und verdiene dafür Unterstützung, zeigt sich der Trauma-Experte überzeugt. Zudem könne die Aufmerksamkeit den Menschen Murad stabilisieren. Eines Tages aber müsse sie eine Therapie machen, sagt der Psychologe. Bis dahin könne sie ihn anrufen, wenn sie Probleme habe. Das sei so abgemacht. Bis dahin bleibt sie für viele eine Symbolfigur im Kampf gegen den IS und gleichzeitig für andere "nur eine geschändete Frau".

Jesiden

Jesiden sind eine religiöse Minderheit. Weltweit hat die monotheistische Religionsgemeinschaft mehrere hunderttausend Mitglieder. Erstmals erwähnt werden die Jesiden in nahöstlichen Quellen aus dem 12. Jahrhundert. Ihr Name geht vermutlich auf den frühislamischen Kalifen Yazid I. ibn Muawiya (680-683) zurück.

Irak, Lalish: Eine Frau entzündet ein Feuer im Shekadi-Schrein während der Feierlichkeiten des Sommer-Arbaeen-Eids / © Ismael Adnan (dpa)
Irak, Lalish: Eine Frau entzündet ein Feuer im Shekadi-Schrein während der Feierlichkeiten des Sommer-Arbaeen-Eids / © Ismael Adnan ( dpa )
Quelle:
KNA