Nach Obama-Rede diskutiert Deutschland über mehr Truppen und mehr Entwicklungshilfe

Mehr ziviler Aufbau in Afghanistan

Der Bundeswehreinsatz in Afghanistan soll nach Ansicht von Regierung und Opposition mit verstärkter ziviler Aufbauhilfe verknüpft werden. Zudem bekräftigte die schwarz-gelbe Koalition am Donnerstag ihre Haltung, dass über eine Aufstockung deutscher Truppen am Hindukusch erst nach der internationalen Afghanistan-Konferenz Ende Januar beraten werden soll. Derzeit kann sich die Bundeswehr mit bis zu 4500 Mann am ISAF-Einsatz beteiligen. Diese Obergrenze wird auch im neuen Bundestagsmandat nicht verändert.

Autor/in:
André Spangenberg und Torsten Landsberg
 (DR)

Hintergrund der neuen Afghanistan-Debatte ist die Ankündigung von US-Präsident Barack Obama, 30 000 zusätzliche Soldaten nach Afghanistan zu schicken. NATO-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen sieht das als Aufforderung auch an andere Partner des Bündnisses. In NATO-Kreisen wird davon ausgegangen, dass auf Deutschland bis zu 2500 Soldaten mehr zukämen. Doch gibt es nach Angaben der Bundesregierung bislang keine Anfrage der USA.

«Es bleibt den Deutschen selbst überlassen, über das weitere Vorgehen zu entscheiden», sagte der US-Sondergesandte für Afghanistan und Pakistan, Richard Holbrooke. Er wies Berichte zurück, wonach die USA bereits weitere bis zu 2500 Bundeswehrsoldaten angefordert hätten. Allerdings erwarteten die Vereinigten Staaten vom Treffen der NATO-Außenminister am Freitag in Brüssel schon «politische Zusagen».

Der Chef des Bundeswehrverbandes, Ulrich Kirsch, verlangte vor einer Debatte über die Stärke der ausländischen Truppen in Afghanistan genauere Informationen der amerikanischen Seite für eine Gesamtstrategie. «Im Moment erleben wir lediglich eine Truppenaufstockung. Das reicht aber nicht. Das ist nicht der Schlüssel zum Erfolg für dieses Land. Der Schlüssel zum Erfolg ist schlicht und ergreifend der zivile Wiederaufbau.»

Für den SPD-Wehrexperten Rainer Arnold liegt der «Schlüssel» für einen Abzug in selbsttragenden afghanischen Sicherheitsstrukturen, wobei mehr in Ausbildung von Polizei und Armee gesteckt werden müsse. Während man bei der afghanischen Armee «relativ erfolgreich» sei, gebe es bei der Polizei «anerkannterweise Lücken». Auch der Grünen-Abgeordnete und ehemalige UN-Sonderbeauftragte für Afghanistan, Tom Koenigs, sieht den Schwerpunkt in der zivilen Unterstützung. «Was in Kundus und was im Norden von Afghanistan fehlt, sind Polizisten. Und die sollten wir schicken - und zwar in großer Zahl.»

Die Gewerkschaft der Polizei (GdP) warnte hingegen davor, Polizisten als «Lückenbüßer» für Soldaten einzusetzen. «Die deutsche Polizei ist jederzeit bereit, beim zivilen Aufbau eines Landes zu helfen. Die Lage in Afghanistan wird jedoch immer militärischer», sagte GdP-Chef Konrad Freiberg. Dafür seien die Beamten weder ausgebildet noch ausgerüstet. Der Vorsitzende der Bundespolizei in der GdP, Josef Scheuring, verwies darauf, dass die Bundespolizei keine Reservearmee sei.

«Wir brauchen mehr Polizeiausbildung in Afghanistan», sagte Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU). Die Unterstützung der afghanischen Polizei liege «in unserem eigenen Interesse», damit «der Terrorismus der Taliban nicht nach Deutschland kommt». Eine Verstärkung des zivilen Wiederaufbaus und des Einsatzes beim Aufbau der Polizei müssen auch nach Ansicht der FDP-Wehrexpertin Elke Hoff «wesentliche Bestandteile der deutschen Vorschläge» für die Londoner Afghanistan-Konferenz sein.

Unterdessen stellte der stellvertretende Vorsitzende des Verteidigungsausschusses, Karl Lamers (CDU), eine rasche Überarbeitung des ISAF-Mandats in Aussicht. Sollte sich nach der Afghanistan-Konferenz eine neue politische Bewertung ergeben, «dann werden wir das Mandat anpassen». Es dürfe aber nicht nur um die Aufstockung der Zahl der Soldaten gehen, sondern um die militärische Absicherung und den zivilen Wiederaufbau mit der Ausbildung von afghanischen Soldaten und Polizisten.