Nach einer Militäroperation gegen Rebellen leidet die Zivilbevölkerung mehr als zuvor

Massenflucht im Osten Kongos

Der an Regenwald reiche Kongo verfügt über große Vorkommen an Kupfer, Kobalt, Erdöl, Gold, Diamanten, Uran und Coltan. Dennoch gehört das Land zu den ärmsten Staaten der Welt. Zwar wurde 2006 Joseph Kabila als erster frei gewählter Präsident seit 40 Jahren vereidigt. Der Stabilisierungsprozess kommt jedoch nur langsam voran. Mehr als 17.000 UN-Blauhelm-Soldaten sind derzeit vorwiegend im unruhigen Osten des Landes stationiert. Die Zivilbevölkerung leidet unter dem anhaltenden Kampf gegen die Rebellen.

Autor/in:
Marc Engelhardt
 (DR)

Der Niederschlag fällt wie ein dichter Vorhang. In der Regenzeit verwandeln sich die Pfade im Lager Mugunga 1 in einen stinkenden Sumpf aus Dreck und Schlamm. Das Vertriebenencamp liegt an der Hauptstraße nach Masisi, gut 25 Kilometer von der Provinzhauptstadt Goma im Ostkongo. In den notdürftig geflickten Hütten haben rund 5.000 Vertriebene Unterschlupf gefunden.

«Wir haben nichts, um die Dächer auszubessern», klagt Fikiri Jamboku, ein Mann Anfang 40. Zurückkehren in sein Heimatdorf Masisi will der Familienvater trotz aller Entbehrungen nicht. «Wenigstens sind wir am Leben.» Jamboku lebt seit fast einem Jahr in Mugunga 1. Damals floh er vor den Rebellen des «Nationalkongresses zur Verteidigung des Volkes» (CNDP) von General Laurent Nkunda.

Der Rebellenführer wurde Ende Januar in einer gemeinsamen Militäraktion von kongolesischer und ruandischer Armee festgenommen. «Wir haben schon gefeiert: bald geht es zurück», sagt Kanyangesi Kapalata mit leiser Stimme, ein gebeugter Alter im beigen Hemd. Doch nach Hause trauen sich die Flüchtlinge bislang nicht. Denn die Situation hat sich seit Nkundas Festnahme nicht verbessert.

In Masisi, im weiter westlich gelegenen Walikale und in weiten Teilen Nord-Kivus wird so heftig gekämpft wie lange nicht mehr. «Die kongolesische Militäroffensive ist eine Katastrophe für die Zivilbevölkerung», bilanziert Kenneth Roth von der Menschenrechtsorganisation «Human Rights Watch». «Die Menschen stehen jetzt unter Feuer von allen Seiten.» Hutu-Extremisten der «Demokratischen Kräfte zur Befreiung Ruandas» (FDLR) macht Roth ebenso für brutale Racheaktionen verantwortlich wie örtliche Mai-Mai-Milizen und nicht zuletzt Kongos Armee, die von der UN-Blauhelmmission im Kongo logistisch unterstützt wird.

Die Soldaten sind für ihre Gewaltbereitschaft sogar besonders berüchtigt. «Unsere Armee ist Opfer und Täter zugleich», sagt der Vertriebene Ujembe Luneno. «Unsere Soldaten beschützen uns nicht, sie rauben uns aus und tun uns Gewalt an, weil die Regierung sie nicht bezahlt.» Selbst einen Stützpunkt der UN-Truppen griff eine Gruppe Soldaten aus Protest gegen die Lohnausfälle kürzlich an. «Dass die Regierung sich nicht um ihre Soldaten kümmert, ist geradezu eine Einladung, sich an der Bevölkerung schadlos zu halten», sagt Roth.

«Den Menschen geht es eindeutig schlechter als vor der Offensive», betont auch Marcel Stoessel von Oxfam. «Mädchen und Frauen werden brutal vergewaltigt, Häuser werden abgefackelt, ganze Dörfer geplündert.» Mehr als 300.000 Bewohner sind seit Anfang des Jahres aus ihren Dörfern in der Nord-Kivu-Provinz geflohen, 100.000 mehr als vor einem Jahr, als offener Krieg herrschte. Ein Analyst der UN-Mission in Goma, der seinen Namen nicht gedruckt sehen will, macht für die gestiegene Gewalt nicht zuletzt den Ende März unterzeichneten Friedensvertrag verantwortlich, der die CNDP eindeutig bevorteilt habe.

«Die CNDP ist jetzt offiziell Teil der Armee und hat dadurch Orte erreicht, wo sie vorher nie war», lautet die Bilanz des UN-Experten. Schon hat die erste Partei den Vertrag aufgekündigt. «Ich habe mit einem Mai-Mai-Anführer aus Masisi gesprochen, der hat angekündigt, man werde in die Basen zurückgehen und sich mit den Hutu-Extremisten zusammen tun.» Es drohen neue Kämpfe. Entlang der Straße, die von Goma nach Masisi führt, entstehen fast täglich neue Flüchtlingslager.