Museum gibt Einblick in die Arbeit der Stasi

Zwischen Wahnsinn und Wahnwitz

Seit seiner Besetzung durch Montagsdemonstranten am 4. Dezember 1989 hat der ehemalige Leipziger Stasi-Sitz viel von seinem Schrecken verloren. 1990 zu Museum und Archiv umgewidmet, ist in der Gedenkstätte eine seltsame Mischung aus Wahnsinn und Wahnwitz geblieben, die einem bisweilen Schauer über den Rücken treibt.

Autor/in:
Joachim Heinz
 (DR)

So also sahen deutsche Amtsstuben aus. Leipzig, Dittrichring 24. Der blank gewienerte Linoleumfußboden zeugt von penibler Sauberkeit. Anders als die aschfahlen Gardinen samt den muffig gelben Vorhängen, die sich nur mit Mühe in den dafür vorgesehenen Leisten zu halten scheinen. Doch das sind nicht die einzigen Gegensätze, die den Besucher beim Betreten der "Runden Ecke" erwarten. Denn in dem wilhelminischen Prachtbau am Rand der Innenstadt residierte nicht irgendeine städtische Behörde, sondern die Bezirksverwaltung für Staatssicherheit, kurz Stasi.

Vor der Wende 1989 gingen an der trutziggrauen Steinfassade viele Passanten nur mit vorgehaltener Hand und gesenkten Hauptes vorbei.
Und auch heute kann es passieren, dass Touristen auf ihrem Weg zu den Attraktionen im historischen Stadtkern das Gebäude am Dittrichring keines Blickes würdigen.

Heinausgehen - ein Problem
Allein die schwere Eingangstür im ehemaligen "Besucher"-Trakt verrät viel über den Charakter des DDR-Regimes. Hineinzukommen war dank einer simplen Klinke kein Problem, hinauszukommen dagegen schon. Ein fest installierter Knauf machte das Verlassen des Gebäudes ohne fremde Hilfe unmöglich. Ein banales Detail, das auf erschreckend unspektakuläre Weise die Macht der Stasi beschreibt. Umgekehrt verhielt es sich mit den Zugängen zu den einzelnen Büros. Hier musste klingeln, wer Einlass begehrte. Das gab den Mitarbeitern die Möglichkeit, als vertraulich eingestuftes Material rechtzeitig in den Schubladen verschwinden zu lassen.

Und von diesem Material gab es jede Menge, wie der Rundgang durch die Museumsräume zeigt. Verdächtige Post aus dem Westen wurde von eigens konstruierten Maschinen geöffnet und wieder verschlossen. Mit tragbaren Fotokopiergeräten ließen sich im wahrsten Sinne des Wortes blitzschnell Abschriften von belastenden Dokumenten aus Privatwohnungen anfertigen. Und an Bildmaterial scheint angesichts der agentenfilmreifen Spezialkameras ohnehin wenig Mangel geherrscht zu haben. Kein Wunder, dass die Macher des oscargekrönten Stasi-Dramas "Das Leben der Anderen" auf ihrer Suche nach Requisiten auch in der "Runden Ecke" fündig wurden.

Andererseits hatten aber auch die grauen Herren der Staatssicherheit mit den Mängeln der kommunistischen Planwirtschaft zu kämpfen. Für ihre Abhöraktionen und Telefonmitschnitte mussten sie zunehmend auf Kassettenbänder aus westlicher Produktion zurückgreifen, wie Hüllen mit der Aufschrift "Schlager, die man nicht vergisst" belegen - präsentiert vom ZDF.

Hang zu unkonventionellen Lösungen
Einen Hang zu unkonventionellen Lösungen offenbart auch die imposante Sammlung an Poststempeln, mit denen die Stasi etwa gefälschte Liebesbriefe in Umlauf brachte, um Beziehungen von Regimekritikern zu zerstören. Ob das Hauptpostamt im japanischen Tokio tatsächlich lateinische Lettern verwendete, hat die Geheimdienst-Spezialisten nicht weiter umgetrieben. Da war dann schon eher die Frage interessant, wie sich von missliebigen Personen am besten Duftproben sammeln ließen. Spürhunde sollten später deren Fährte einfacher aufnehmen können. Bei Verhören mussten die Festgenommenen deswegen tatsächlich wie in "Das Leben der Anderen" ihre Hände unter dem Gesäß verschränken, wo ein Frotteetuch den Schweiß aufsaugte.

Wer sich hingegen als inoffizieller Mitarbeiter verpflichtete, genoss sogar so etwas wie Wahlfreiheit in der DDR. Bei der Suche nach einem Decknamen waren der Fantasie fast wie keine Grenzen gesetzt. Ob IM "James Bond", "Erich" oder "Mikrobe" - fast alles war möglich. Nur ein IM "Judas" ist bis heute nicht in den Listen aufgetaucht. Mit dem Negativ-Image des Verräters Jesu aus dem Neuen Testament wollten die Spitzel-Anwerber in Diensten des atheistischen Arbeiter- und Bauernstaates nach Erkenntnissen von Wissenschaftlern nichts zu tun haben.

Hinweis: Ab diesem Samstag (3. Oktober) erinnert die Sonderausstellung "Leipzig auf dem Weg zur Friedlichen Revolution" an die Wende vor 20 Jahren.