Fraueninitiative aus Nigeria erhält Aachener Friedenspreis

"Mütter für den Frieden" wollen stärker sein als Leid und Gewalt

Ein Beispielprojekt der missio-Aktion zum diesjährigen Weltmissionsmonat ist die interreligiöse Fraueninitiative "Mütter für den Frieden" aus Nigeria. Sie erhält auch den Aachener Friedenspreis 2021, der am 13. November verliehen wird.

Autor/in:
Gottfried Bohl
Frauen des Women's Interfaith Council vor einer Moschee in Kaduna, Nigeria / © Hartmut Schwarzbach (missio)
Frauen des Women's Interfaith Council vor einer Moschee in Kaduna, Nigeria / © Hartmut Schwarzbach ( missio )

Ihr siebenjähriger Sohn wurde erschlagen, ihre Tochter Peace mit der Machete am Kopf getroffen, ihre Mutter und ihre Schwiegermutter wurden umgebracht. Rahila Godwin selbst verlor zuerst ihren Unterarm, kurz danach ihr ungeborenes Kind. Alles bei einem Überfall auf ihr Dorf in Nigeria.

Und dennoch verlor die junge Frau nicht ihren Lebensmut. Nicht nur das - sie kämpft für Versöhnung und Vergebung, engagiert sich bei den "Müttern für den Frieden", dem "Women's Interfaith Council" (WIC), das in diesem Jahr mit dem Aachener Friedenspreis ausgezeichnet wird und eines der Beispielprojekte der aktuellen Kampagne zum Weltmissionsmonat Oktober des katholischen Hilfswerks missio ist.

Arbeit für den Frieden

Viele der mehr als 12.000 Christinnen und Musliminnen, die hier mitarbeiten, haben ein ähnliches Schicksal. Sie haben Ehemänner, Kinder, Eltern oder Geschwister verloren in den blutigen Konflikten.

Zum Beispiel Elizabeth Abuk: Sie ist 64 und hat 2010 die "Mütter für den Frieden" mit gegründet. 2014 verlor die Politikerin und Frauenrechtlerin bei einem Überfall mehrere Angehörige, wie sie missio berichtete: "Sie wurden alle getötet, meine jüngere Schwester, ihr Mann und drei ihrer Kinder - verbrannt zu Asche." Danach habe sie lange gezweifelt, bekennt sie, ist dann aber doch dabeigeblieben: "Und ich spreche immer noch über Frieden. Ich habe eine Leidenschaft für den Frieden. Ich mache weiter."

Die "Mütter für den Frieden" demonstrieren gemeinsam. Sie besuchen Waisenhäuser, Flüchtlingscamps, feiern gemeinsam das islamische Fest Sallah und Weihnachten. "Wir Frauen, Christinnen und Musliminnen, stehen zusammen, geben uns gegenseitig Ratschläge", sagt Oli Levi. "Ich möchte eine Friedenshüterin sein. Ich will, dass in Nigeria Frieden herrscht." Und das, obwohl die 69-Jährige bis heute nicht weiß, was mit ihrer Schwiegertochter ist, die 2018 von der Terrormiliz Boko Haram entführt wurde.

Gegen religiöse Interpretation von lokalen Konflikten

Die neuen Friedenspreisträgerinnen setzen sich vor allem im nigerianischen Bundesstaat Kaduna für ein friedliches Zusammenleben in ihren Dörfern und Stadtvierteln ein. Das WIC besteht aus 23 christlichen und muslimischen Frauenverbänden und ist eine von Laiinnen getragene Organisation, die schon lange von missio unterstützt wird.

"Die Auszeichnung ist eine großartige Ermutigung", betont missio-Präsident Dirk Bingener. Viele der Frauen hätten "Grund gehabt aufzugeben, aber sie haben sich anders entschieden. Sie setzen sich für Versöhnung ein, sie haben eine Passion für den Frieden."

Kaduna gehört zu den gefährlichsten Krisenregionen in Nigeria. Oft geht es bei den Konflikten um Land, Weiderechte oder den Zugang zu Wasser. Der Streit zwischen Bauern und Viehhirten ist in den vergangenen Jahren eskaliert. Gehören die Streitparteien unterschiedlichen Religionen an, würden die Konflikte schnell als religiös interpretiert, obwohl Religion selten wirklich die Ursache sei, betont Bingener. Und doch führten die Gewalttaten häufig zu Misstrauen zwischen Christen und Muslimen.

Genau diesem Misstrauen wollen die Frauen entgegenwirken. Lautstark protestieren sie gegen den Missbrauch ihrer Religion für politische Zwecke. Und sie fordern mehr Mitsprache für Frauen, denn diese sind in der patriarchalen Gesellschaft Nigerias an Entscheidungen meist nicht beteiligt, dafür aber oft die Leidtragenden.

Bingener: "Die Frauen sind Vorbilder für uns"

Nach Anschlägen auf Dorfgemeinschaften suchen christliche und muslimische Frauen der Initiative gemeinsam Betroffene auf und kümmern sich um die Opfer. Sie leisten Seelsorge im wahrsten Sinne des Wortes und organisieren Hilfe. Darüber hinaus veranstalten sie Workshops für Frauen, Jugendliche und Religionsführer, um für gegenseitiges Verständnis zu werben und so Gewalt gar nicht erst entstehen zu lassen.

Schwer genug, wie Bingener betont. Missio hat die "Mütter für den Frieden" für den Aachener Friedenspreis vorgeschlagen. Einige der Frauen sollen jetzt auch im Weltmissionsmonat nach Deutschland kommen und von ihrem Engagement berichten. Denn Nigeria ist Schwerpunktland der aktuellen missio-Kampagne, so Bingener: "Die Frauen sind Vorbilder für uns, und ihre Arbeit ist ein wichtiger Baustein für eine friedliche Zukunft Nigerias."

 

Pfarrer Dirk Bingener, missio-Präsident / © Julia Steinbrecht (KNA)
Pfarrer Dirk Bingener, missio-Präsident / © Julia Steinbrecht ( KNA )
Quelle:
KNA