Neue Dialogplattform will jüdisches Leben sichtbarer machen

"Müssen wir wieder die Koffer packen?"

"Den Austausch und das Miteinander der Menschen und der Religionen fördern": Ein neues Projekt aus Baden-Württemberg will jüdische Lebenswirklichkeit zeigen. Bald steht eine Premiere an: ein koscherer Empfang in Heidelberg.

Autor/in:
Stefanie Ball
Kundgebung gegen Judenhass  / © Maja Hitij (dpa)
Kundgebung gegen Judenhass / © Maja Hitij ( dpa )

Alexandra Poljak ist Präsidentin des Bunds jüdischer Studenten Baden. Sie kommt aus Hannover, hat in Heidelberg studiert und macht jetzt ihr Referendariat an einer Grundschule. Vor ein paar Monaten wurde sie zum ersten Mal auf Facebook Zielscheibe von Antisemitismus. Sie war als Rednerin zu einer Demo der Jüdischen Studierendenunion Deutschland gegen die AfD eingeladen und erntete dafür später im Internet Hasskommentare.

"Ich war schockiert, wie schnell das ging, kaum stand meine Rede im Internet, ging es auch schon los, quasi im Minutentakt wurde ich tagelang beschimpft." Vor ein paar Wochen dann wurde sie auf ihrem Twitter-Account mit Hassbotschaften überzogen. Trotzdem – oder gerade deshalb – will die 23-Jährige ihre jüdische Herkunft nicht verstecken.

"Am Ende steht immer der Antisemitismus"

Jüdische Lebenswirklichkeit zeigen, das ist auch das Ziel einer neuen Dialogplattform Jüdisches Forum, die die CDU Baden-Württemberg ins Leben gerufen hat. Bei der Auftaktveranstaltung am Donnerstagabend in Heidelberg sagte der CDU-Generalsekretär im Südwesten, Manuel Hagel: "Mit unserem jüdischen Forum wollen wir den Austausch und das Miteinander der Menschen und der Religionen fördern. Es geht darum, die Geschichte, die Traditionen, die Bräuche und die jüdische Kultur sichtbarer zu machen." Erste Etappe auf dem Weg: ein koscherer Empfang in der Aula der Alten Universität in Heidelberg. "Wir haben eine 70-jährige Erfahrung mit Empfängen. Aber einen koscheren Empfang probieren wir heute zum ersten Mal."

Schirmherr der Dialogplattform ist Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble. Der CDU-Politiker erzählt, wie ihn jüdische Vertreter vor vielen Jahren gewarnt hätten: "Passt auf, dass ihr keine Ressentiments gegen Fremde, gegen Ausländer duldet, insbesondere nicht gegenüber Muslimen. Ich fand das immer beeindruckend, wie Vertreter des jüdischen Lebens gewarnt haben, wenn es um Minderheiten ging." Heute ist offensichtlich, warum: "Am Ende steht immer der Antisemitismus."

"Wir müssen das ernster nehmen"

Inzwischen müssen Synagogen, Schulen und Kindertagesstätten von der Polizei bewacht werden, und der Antisemitismusbeauftragte der Bundesregierung, Felix Klein, sieht sich genötigt, Männer zu warnen, die Kippa, die jüdische Kopfbedeckung, öffentlich zu tragen. Und so sind sich Schäuble und der Rektor der Heidelberger Hochschule für Jüdische Studien (HfJS), Johannes Heil, einig: "Das hätten wir vor zehn Jahren nicht gedacht." Der Antisemitismus, bedauert Hagel, zeige "sein hässliches Gesicht" wieder auf Marktplätzen. "Wir müssen das ernster nehmen, als wir gelegentlich geglaubt haben", so Schäuble.

Einer, der Antisemitismus schon lange ernst nimmt, ist Rami Suliman, Vorsitzender der Israelitischen Religionsgemeinschaft Baden: "Wir hatten unsere Koffer ausgepackt, es war klar, wir bleiben in Deutschland. Doch was ist jetzt? Müssen wir die Koffer wieder packen?", sagt er mit Blick auf steigende Umfragewerte der AfD.

Barbara Traub, Vorsitzende der Israelitischen Religionsgemeinschaft Württemberg, sieht gleichwohl, dass es nach antisemitischen Vorfällen eine breite Unterstützung dagegen gibt. Sie wünsche sich, dass "wir alle für eine offene Gesellschaft arbeiten". Wichtig sei, so Schäuble, antisemitische Umtriebe nicht herbeizureden und "stärker zu dramatisieren als sie sind". Für Poljak wäre viel erreicht, wenn weniger über Juden gesprochen würde als mit ihnen. Und niemand mehr sagt: "Oh, du bist Jüdin, habe ich bislang noch keine kennengelernt."


Quelle:
KNA