Moskaus Patriarch unterschreibt Verbotspetition - Kreml schweigt

Russische Kirche stößt Abtreibungsdebatte an

Politischen Druck auf den Kreml vermied Russlands orthodoxe Kirche bislang stets. In der Abtreibungsfrage weicht sie davon nun ab. Sie unterstützt die Unterschriftensammlung für eine Petition.

Autor/in:
Oliver Hinz
Schwangerschaft / © Uli Deck (dpa)
Schwangerschaft / © Uli Deck ( dpa )

Moskaus orthodoxer Patriarch Kyrill I. gilt als wichtige Machtstütze für Russlands Präsidenten. Immer wieder lobte er Wladimir Putin in höchsten Tönen. Doch nun könnte das Kirchenoberhaupt den Kreml-Chef in die Zwickmühle bringen. Kyrill I. unterschrieb eine Petition für ein komplettes Verbot der in Russland massenweise praktizierten Abtreibungen.

Nun muss Putin Farbe bekennen: Unterstützt er eine radikale Verschärfung des liberalen Abtreibungsgesetzes? Das würde die orthodoxe Kirche feiern, jedoch viele Russen verprellen, für die Abtreibung noch immer eine übliche Methode der Geburtenkontrolle ist. Oder verteidigt er die geltende Fristenregelung und enttäuscht damit den orthodoxen Klerus, mit dem er sich sonst so gern zeigt?

Kein Appell an Kreml

Als der Patriarch die Petition für ein Abtreibungsverbot unterschrieb, verzichtete er auf einen Appell an die Politiker. Auf der Website des Moskauer Patriarchats heißt es nur, Kyrill I. habe den Organisatoren von den Bewegungen "Für das Leben" und "Orthodoxe Freiwillige" für ihre Arbeit gedankt und sie gesegnet. Deren zum orthodoxen Osterfest begonnene Unterschriftensammlung unterstützte das Kirchenoberhaupt von Anfang an. Der Petitionstext ist mit der Kommission des Patriarchats für Familien, Mutterschaft und Schutz der Kinder abgestimmt.

"Wir, Bürger der Russischen Föderation, befürworten die Abschaffung der in unserem Land bestehenden Praxis der legalen Ermordung von Kindern vor der Geburt", heißt es in dem Begehren. Das Leben und die Gesundheit ungeborener Kinder müsse gesetzlich geschützt werden. Der Staat solle bedürftige schwangere Frauen und Familien materiell unter die Arme greifen, ihnen so ein "Existenzminimum" sichern. Rund 300.000 der 142 Millionen Russen haben die Petition nach Angaben der Nachrichtenagentur Interfax bereits unterschrieben.

Staatsführung ohne klaren Kurs

Bislang drückt sich die Staatsführung bei dem Thema um einen klaren Kurs. Kreml-Sprecher Dimitri Peskow lehnte jeden inhaltlichen Kommentar zur Abtreibungsdebatte und der Haltung des Patriarchen ab: "Der Kreml beteiligt sich nicht an dieser Diskussion." Die Kirche sei einer der Teilnehmer an dieser Debatte. "Der eine stimmt der russisch-orthodoxen Kirche zu, der andere nicht", so Peskow nur.

Kyrill I. hatte die "riesige Zahl»" von Abtreibungen 2015 im Parlament als eines der größten Probleme Russlands bezeichnet. Die Tötung ungeborener Kinder sei eine schwere Sünde. Im Februar sprach er sich dafür aus, dass Eheleute bei der kirchlichen Trauung schwören, dass sie nicht abtreiben werden. 

Beratung und Unterstützung

In Russland lassen nach offiziellen Angaben jedes Jahr rund eine Million Frauen eine Schwangerschaft abbrechen. Zu viele, findet auch Ministerpräsident Dmitri Medwedew. Seine Regierung strebt eine Senkung der Zahl der Abtreibungen bis 2020 um zehn Prozent an; ein Verbot lehnt sie aber bislang ab. Moskau setzt auf die Beratung und Unterstützung schwangerer Frauen. In Krankenhäusern wurden eigene Hilfestellen für sie eingerichtet. Seit 2013 ist zudem jede Werbung für Schwangerschaftsabbrüche verboten.

Seit 2012 sind in Russland Abtreibungen grundsätzlich nur noch in den ersten zwölf Schwangerschaftswochen erlaubt. Zudem schreibt das Gesetz eine Bedenkzeit der Schwangeren zwischen der Beratung durch einen Arzt und ihrer Entscheidung vor, wogegen Medien zufolge häufig verstoßen wird. Illegale Schwangerschaftsabbrüche können mit Geldstrafen geahndet werden.

Der sowjetische Staatsgründer Wladimir Lenin (1870-1924) hatte die Strafbarkeit von Abtreibung aufgehoben. Ab 1936 wurden Schwangerschaftsabbrüche ohne medizinische Indikation wieder unter Strafe gestellt. Nach dem Tod von Josef Stalin (1878-1953) wurden Abtreibungen 1955 von neuem erlaubt. Die Folge: In kommunistischer Zeit gab es bis zu fünf Millionen Schwangerschaftsabbrüche pro Jahr.


Quelle:
KNA