Buch über Rabbinerinnen in Deutschland erschienen

Mosaikstein zum jüdischen Leben

Regina Jonas war 1935 nicht nur die erste Rabbinerin in Deutschland, sondern auch weltweit. Über 70 Jahre später gibt es 1.000 Rabbinerinnen auf der Welt, sechs davon in Deutschland. Rocco Thiede hat darüber ein Buch geschrieben.

Kippot/Symbolbild Judentum / © Karolis Kavolelis (shutterstock)
Kippot/Symbolbild Judentum / © Karolis Kavolelis ( shutterstock )

DOMRADIO.DE: Sie haben in Ihrem Buch den Titel "Reginas Erbinnen: Rabbinerinnen in Deutschland" gegeben. Was für eine Rolle spielt die eben erwähnte Regina Jonas als erste Rabbinerin für das Judentum?

Rocco Thiede (Autor): Regina Jonas war die historische Persönlichkeit, auf die sich ihre Erbinnen im Geiste heute berufen dürfen. Regina Jonas wurde - wir wissen es nicht ganz genau, es gibt so verschiedene Zahlen - 1944 von Theresienstadt ins KZ Auschwitz gebracht und dort ermordet. Das Besondere an Regina Jonas war, sie war die allererste Frau weltweit, die zur Rabbinerin ordiniert wurde. Sie hat ein paar historische Vorläufer, das kann man auch in den Texten in diesem Buch lesen. In der Heiligen Schrift gibt es auch Frauen, auf die man sich berufen kann. Insofern war sie und ist sie sehr wichtig, bis heute.

DOMRADIO.DE: Sie hat neun Jahre lang als Rabbinerin gearbeitet, erst in Berlin und dann auch in Gefangenschaft in Theresienstadt. Bis Anfang der 90er Jahre ist diese Frau eher in Vergessenheit geraten. Warum?

Thiede: Man muss sagen, Anfang der 90er Jahre vor allen Dingen hier für uns in Europa und Deutschland. Die erste Frau, die nach ihr ordiniert wurde, war eine Amerikanerin. Das war 1974 Sally Priesand, die erste Reform-Rabbinerin. Danach gab es weitere Frauen. Im Judentum gibt es sowas wie Denominationen. Man könnte es mit unseren Konfessionen vergleichen. Zum Beispiel auch rekonstruktionistische Richtungen. Es gibt die liberalen Juden. Es gibt die Konservativen. All diese Frauen, und zwar die allerersten in ihrer jeweiligen Richtung, haben für unser Buch ein Vorwort geschrieben. Das wissen viele nicht und ich muss sagen, das habe ich auch dazu erst im Laufe dieser Recherche gelernt: 2009 gab es die erste orthodoxe Rabbinerin, die ordiniert wurde, Sara Hurwitz.

DOMRADIO.DE: Sie haben für dieses Buch und auch mit der Kollegin und Rabbinerin zusammen mit ganz vielen Frauen gesprochen, die heute als Rabbinerin tätig sind. Wie sehen die sich selbst?

Thiede: Also man kann da jetzt nicht eine Antwort geben. Die haben ganz unterschiedliche Sichtweisen, auch auf sich selber. Einige haben Schwerpunkte, sie wollen auch besonders das junge, religiöse, moderne, jüdische Leben fördern. Andere sind sehr politisch aktiv, wie Frau Professor Elisa Klapheck, die auch selbst ein Buch geschrieben hat, wie sie Rabbinerin geworden ist. Andere wiederum, wie zum Beispiel die allererste Frau, die nach dem Zweiten Weltkieg in Deutschland als Rabbinerin wirkte, ist eine Schweizerin Bea Wyler. Sie besteht bis heute darauf, nicht Frau Rabbinerin, sondern Frau Rabbiner genannt zu werden. Also alleine an dieser Vielfalt sehen Sie schon, wie unterschiedlich diese Frauen aktiv sind und wie unterschiedlich ihr Fokus ist. Meine Mitherausgeberin beispielsweise, Frau Antje Yael Deusel, wirkt in Bamberg und ist dort Rabbinerin der liberalen Gemeinde. Sie ist zum Beispiel auch gerade in unseren Zeiten von Corona doppelt systemrelevant, weil sie zwei Berufe hat. Sie ist Seelsorgerin und sie ist auch Urologin, also Ärztin.

DOMRADIO.DE: Verändern die Frauen die jüdische Religionsgemeinschaft dadurch, dass sie zahlreicher dort als einflussreiche Rabbinerinnen vorhanden sind?

Thiede: Ja, absolut. Wenn Sie sich ein bisschen mit dem Jüdischen auskennen, wenn Sie schon mal in einer Synagoge waren, wissen Sie, es herrscht im Orthodoxen und Ultraorthodoxen eine sehr strikte Trennung zwischen Männern und Frauen, sogar örtlich gesehen. Wenn Sie Gottesdienste in den liberalen Gemeinden miterleben und in konservativen Gemeinden auch, dann sind diese Grenzen aufgehoben. Das war ein wichtiger Grund für viele Frauen Gleichberechtigung zu fordern. Sie wollen gemeinsam als eine Gemeinde den Gottesdienst feiern und zusammen singen, zusammen beten. Das sind interessante Dinge, die sich auch architektonisch in den Synagogen auswirken.

DOMRADIO.DE: Inwieweit ist Ihr Buch ein Beitrag zum 1.700-jährigen Jubiläum des jüdischen Lebens in Deutschland?

Thiede: Es ging ursprünglich darum, Gemeinde-Rabbinerinnen in Deutschland zu porträtieren. Der Anfang war so 2013/2014, als ich noch eine Studentin, die am Abraham Geiger Kolleg in Berlin studierte, porträtierte. Die Studentin ist heute Rabbinerin in Unna, Köln und Oberhausen. Diese ganze Geschichte sollte eigentlich im Jahr 2019 erscheinen, zum 75. Todestag von Regina Jonas. Jetzt haben wir 2021 und wir kommen genau in dieses große Jubiläumsjahr rein, 1.700 Jahre Judentum in Deutschland und ich glaube, mit diesem Buch liefern wir einen kleinen, aber wichtigen Mosaikstein zum jüdischen modernen Leben, zur Vielfalt des jüdischen Lebens in Deutschland.

Das Interview führte Uta Vorbrodt.


Quelle:
DR