Moraltheologe Schockenhoff zur Moral von Managern und Politikern

Für eine Wiederentdeckung des Gewissens

Der Freiburger Moraltheologe Eberhard Schockenhoff wirbt für die Wiederentdeckung des Gewissens. Man solle es achten als "Ratgeber und Freund", sagte der katholische Theologieprofessor und stellvertretende Vorsitzende des Deutschen Ethikrats dem epd. Schockenhoff hat mit der Journalistin Christiane Florin ein Buch mit dem Titel "Gewissen - eine Gebrauchsanleitung" geschrieben.

Autor/in:
Marcus Mockler
 (DR)

epd: Herr Professor Schockenhoff, als eine Ursache der gegenwärtigen Finanzkrise wird auch von Kirchenleitern immer wieder die «Gier der Manager» genannt. Hat es den Bankern und Managern an Gewissen gefehlt?

Schockenhoff: Sie hatten sicherlich eine falsche Grundeinstellung zu ihrem Beruf und zur Gesamtheit der Unternehmensziele. Es ging ihnen einseitig um die Gewinne der Anteilseigner, zu wenig um die Sicherung von Arbeitsplätzen, die Entwicklung guter Produkte und die Stärkung der Infrastruktur.

epd: Ist das eine Gewissensfrage?
Schockenhoff: Ja, denn ein Unternehmen hat die ethische Aufgabe, für alle ihm anvertrauten Menschen Verantwortung zu tragen und nicht nur für eine Klientel.

epd: Nun sind durch die globale Finanzkrise Millionen Menschen in noch größere Armut gestürzt worden, die Zahl der Hungernden weltweit liegt inzwischen über eine Milliarde. Was gebietet in dieser Situation das Gewissen?
Schockenhoff: Wir sollten fair gehandelte Produkte kaufen und bereit sein, einen Preis etwa für Kaffee und Tee zu bezahlen, der den dortigen Erzeugern eine angemessenere Entlohnung ermöglicht. Das kann jeder Konsument leisten.

epd: Ist es gewissenlos, immer nur die billigsten Produkte zu kaufen?
Schockenhoff: Wenn man anfängt, über sein Kaufverhalten nachzudenken, dann wird man zum Ergebnis kommen, dass die ausschließliche Orientierung am billigsten Produkt unverantwortlich ist.

epd: Das Gewissen wurde in der Vergangenheit stark in moralischen Fragen bemüht. Wie beurteilen Sie es zum Beispiel, wenn sich heute Spitzenpolitiker schon wenige Tage nach der Trennung von ihrer Frau mit neuer Lebensgefährtin der Öffentlichkeit präsentieren?
Schockenhoff: Spitzenpolitiker haben eine Vorbildfunktion. Es ist bedauerlich, wenn sie dieser nicht gerecht werden. Wenn sie dann nur kurze Zeit nach der Trennung von ihrer Frau mit einer neuen Freundin an die Öffentlichkeit gehen, dann ist das auch geschmacklos.

Natürlich führen Politiker ihre Ehen unter erschwerten Bedingungen mit extremer zeitlicher Beanspruchung und häufiger Abwesenheit von der Familie. Die Öffentlichkeit muss sicher Verständnis dafür haben, wenn solche Ehen scheitern. Manche Politiker rechnen aber offenbar damit, dass der Schritt mit neuer Freundin an die Öffentlichkeit von all denen mit Beifall bedacht wird, die sich in einer ähnlichen Lebenssituation befinden. Das ist stillos.

epd: War das Gewissen früher nicht allzu sehr auf die Privatmoral des Einzelnen reduziert?
Schockenhoff: Das ist richtig. Es kann nicht nur um Sexualverhalten gehen. Auch die Frage, wie ich es in der Öffentlichkeit mit der Wahrheit halte oder welches wirtschaftliche Verhalten ich an den Tag lege, gehört unbedingt dazu.

epd: Im Bundestag gelten bestimmte Abstimmungen, etwa über das Thema Abtreibung, als Gewissensfragen, in denen es keinen Fraktionszwang gibt. Abstimmungen über eine horrende Staatsverschuldung, unter der noch Generationen leiden werden, sind angeblich keine Gewissensfragen. Was bestimmt hier das Maß?
Schockenhoff: Das lässt sich so nicht sagen, weil das Gewissen, dem laut Grundgesetz der Abgeordnete alleine verantwortlich ist, in sehr vielen Fragen eine wichtige Bedeutung haben kann. Der Fraktionszwang hat sich herausgebildet, weil er das politische Arbeiten erleichtert und Abgeordnete davor schützt, auf allen Themengebieten gleichermaßen Experten sein zu müssen. Wenn es aber eindeutig um religiöse und moralische Grundhaltungen geht - man könnte neben der Abtreibung auch Forschung an embryonalen Stammzellen oder Tötung auf Verlangen nennen -, nimmt man auch deshalb Rücksicht, weil die Fraktionen oft zu keinem einheitlichen Meinungsbild mehr in der Lage sind.

epd: Sie sind katholischer Moraltheologe. Was unterscheidet das katholische Gewissen vom evangelischen?
Schockenhoff: Wenn beide Maß nehmen an der Person Jesus Christus, an der Liebe zu Gott und zum Nächsten, am Gleichnis vom Barmherzigen Samariter, dann kann es eigentlich keine grundlegenden Unterschiede geben. Der Protestantismus hat sich in der Vergangenheit mehr als individuelle Gewissensreligion gefühlt, das katholische Christentum räumt der Glaubensgemeinschaft und ihren Erkenntnissen einen höheren Rang ein.

epd: Sie distanzieren sich im neuen Buch vom rigorosen Nein des Vatikan zur künstlichen Verhütung. Haben Sie sich in dieser Frage etwas «evangelische Gewissensfreiheit» genommen?
Schockenhoff: Die lehramtliche Weisung der katholischen Kirche zum Thema Verhütung wird an der Basis nicht nur faktisch nicht befolgt, sie wird nicht einmal als Norm eingesehen. Das berührt auch nach katholischem Verständnis die unbedingte Geltung der Lehraussage.

Wir müssen nach den Gründen fragen, und die liegen nicht nur darin, dass die Gläubigen auf sexuellem Gebiet der Konsummentalität der Gesellschaft verfallen wären. Ihre eigene Lebenserfahrung zeigt ihnen, dass es auch bei der grundsätzlichen Bereitschaft zur Elternschaft einen Zeitpunkt geben kann, an dem die Familienplanung abgeschlossen ist - ohne dass damit die sexuelle Begegnung zum Ende kommen muss. Dabei müssen die Eheleute nach ihrem eigenen Gewissensurteil die Methode der Empfängnisregelung bestimmen. Das haben auch die katholischen Bischöfe in Deutschland 1968 in der «Königsteiner Erklärung» anerkannt.

epd: Ihr neues Buch trägt den Titel «Gewissen - eine Gebrauchsanweisung». Wie gebrauchen wir nun unser Gewissen richtig?
Schockenhoff: Indem wir auf es hören, es achten als einen Ratgeber und Freund, dessen manchmal auch lästige Einreden wir beherzigen sollen.