Moraltheologe Schockenhoff zum Tod von Fußballstar Konietzka und tatsächliche Sterbehilfe

Scheinbare Auswege

Der Tod von Ex-Fußballstar Timo Konietzka hat die Debatte um die aktive Sterbehilfe neu entfacht. Im domradio.de-Interview spricht Ethikratsmitglied Eberhard Schockenhoff über den Wunsch eines schmerzfreien Tods. Von Sterbehilfe will er im Fall Konietzka nicht reden. "Das gemeinsame auf den Tod warten, das würde den Namen Hilfe verdienen, aber nicht eine verzweifelte Tötungshandlung", so der Moraltheologe.

 (DR)

domradio.de: Warum ist dieses aktive Beenden des eigenen Lebens aus moralischer Sicht für Sie so problematisch?

Schockenhoff: Weil sich darin eine Haltung tiefer Verzweiflung äußert, weil er offenbar für die Zukunft seines Lebens, die letzte vor ihm liegende Wegstrecke des Sterbens, keine Hoffnung mehr sah und dann diesen scheinbaren Ausweg wählte. Man sollte das auch nicht Sterbehilfe nennen, denn es ist eigentlich keine Hilfe, wenn ein Mensch seinem eigenen Leben ein Ende setzt oder sich dazu fremder Hilfe bedient, sondern Hilfe im Sterben, die das Sterben erträglich macht, wäre etwas anderes, wäre gute ärztliche Versorgung, wäre Palliativmedizin, menschliche Nähe. Das gemeinsame auf den Tod warten, das würde den Namen Hilfe verdienen, aber nicht eine verzweifelte Tötungshandlung.



domradio.de: Jetzt hat Konietzka aber selber davon gesprochen, dass er sich selbst von seinen Qualen erlösen will, so heißt es in einem Brief, den er hinterlassen hat. Ist denn der Wunsch nach einem schmerzlosen Tod nicht menschlich nachvollziehbar?

Schockenhoff: Ein schmerzfreier Tod ist etwas Nachvollziehbares, aber das ist in sehr vielen Fällen auch auf andere Weise möglich. Es gibt die Standardmethoden der modernen Palliativmedizin, die auch in schweren Krankheitszuständen, einen von unzumutbaren, unerträglichen, andauernden Schmerzzuständen befreien können und selbst in den seltenen Fällen, wo diese Methoden versagen, gibt es die sogenannte Sedierung, wo man also in ein künstliches Koma, eine Bewusstlosigkeit vorübergehend einen Sterbenden versetzt. Es ist also nicht so, dass die moderne Medizin hier am Ende wäre und dass Menschen einen qualvollen Tod sterben müssen. Es ist auch eine Frage der inneren Einstellung mit der man den eigenen Tod und das Sterbenmüssen annimmt und da haben viele Menschen eben - ohne dass ich nun von außen ein Urteil über seine Motive fällen kann - auch eine Art von falschem Stolz, dass sie einfach die letzte Wegstrecke ihres Lebens in Schwäche und Hinfälligkeit nicht gehen möchten, sondern ein selbstgesetztes Bild, wie sie eben sich vor sich und der Erinnerung, dem Andenken ihrer Mitmenschen dann verabschieden möchten, das möchten sie sozusagen selbsttätig auch inszenieren.



domradio.de: Aber schauen wir nochmal kurz auf das Sedieren, das sie eben angesprochen haben, denn oft haben die betroffenen Menschen Angst vor diesem langen Sterben und dass sie dabei ihren Angehörigen zu Last fallen. Wenn man gegen aktive Sterbehilfe ist, wie kann man denn dann den Menschen diese Angst nehmen?

Schockenhoff: Indem man ihnen sagt oder diese Zusage, dass die moderne Medizin auch nach dem Selbstverständnis der Ärzte, ihnen zur Seite steht und dass sie eben nicht einem qualvollen Tod überlassen bleiben. Auch die Angst, den Angehörigen zu Last zu fallen, ist zwar einerseits verständlich, aber andererseits zeigt sich auch darin, ein falsches Ideal der Selbstgenügsamkeit und Autarkie. In der Bibel, in der Lehre Jesu ist die Aufforderung "einer trage des anderen Last" und diese Solidarität mit einem schwerkranken Angehörigen in den letzten Phasen seines Lebens, ihm auch beizustehen und seine Last mitzutragen, das ist etwas Urbiblisches, auch Urmenschliches. Viele Menschen, die einen Schwerkranken begleiten, empfinden das zwar in der Tat als eine schwere Belastung, die oft auch bis an den Rand ihrer Kräfte und über die Grenzen hinaus sie fordert, aber im Nachhinein sagen sie dann, das war eine wertvolle Zeit ihres Lebens, die wollen sie nicht missen, weil sie dem nahen Menschen dadurch auch nochmal in anderer Weise näher gekommen sind.



domradio.de: Jetzt gibt es auch Kritik an der aktiven Sterbehilfe, dass man als Außenstehender gar nicht genau erkennen kann, ob ein Mensch wirklich aus dem Leben scheiden will oder ob nicht eine Depression im konkreten Fall vorhanden ist. Ist das so ein weiterer kritischer Punkt bei der aktiven Sterbehilfe?

Schockenhoff: Das ist sicher ein entscheidender Punkt, dass die angebliche Selbstbestimmung und Autonomie, aus der heraus der Sterbewunsch entsteht, häufig sehr stark eingetrübt ist. Das wissen wir aus der empirischen Suizidforschung, dass viele Suizidversuche der Abschluss eines krankhaften, psychiatrischen Prozesses sind, der Eintrübung der Wahrnehmung, des Erlebens. Deshalb ist das eine euphemistische Darlegung, wenn man sagt, das ist eine Selbsttötung als Ausschluss von Selbstbestimmung als letzter autonomer Akt des Menschen.



domradio.de: Die aktive Sterbehilfe ist bisher in der Schweiz erlaubt. Sie sind Mitglied im Deutschen Ethikrat, haben Sie die Befürchtung, dass einmal die aktive Sterbehilfe auch in Deutschland möglich sein wird, gerade in Hinblick auf diese große öffentliche Anteilnahme am Tod von Friedhelm Konietzka?

Schockenhoff: Man muss auch für die Schweiz differenzieren. Nicht die Tötung auf Verlangen durch den Arzt ist dort legal möglich, sondern die sogenannte ärztliche Suizidbeihilfe, wo also Ärzte oder eine Organisation wie Exit einem Schwerkranken auf dessen Bitte hin Beihilfe dazu leisten, dass er dann selbsttätig die Suizidhandlung ausführt. Die Tötung auf Verlangen befürchte ich in Deutschland nicht, weil hier bei uns doch eine große Einmütigkeit unter allen politisch relevanten Gruppen herrscht, dass wir das, auch mit Blick auf unsere jüngste Geschichte nicht legalisieren sollten. Was die ärztliche Suizidbeihilfe anbelangt, so gibt es durchaus Stimmen, die dies auch bei uns fordern. Ich kann dem nur entgegen halten: Ein demokratischer Staat, der auf den Respekt der gesamten Rechtsordnung vor dem Leben jedes einzelnen Bürgers gegründet ist, der darf nicht eine solche Beratungsmöglichkeit anbieten. Denn damit wird das Signal gesetzt, dass wir es in unserem Staat eigentlich für vernünftig halten, in bestimmten schweren Lebenssituationen, zum Beispiel angesichts unheilbarer Krankheit, sozusagen sich selber unsichtbar zu machen, aus der Mitte der Lebenden zu verschwinden, einfach eine Leerstelle zu hinterlassen, damit Niemanden Leid oder die Mühe des Begleitens zu gemutet werden. Das wäre ein falsches Signal. Damit würden wir auch die Ängste und Nöte schwerkranker Menschen durch die Art und Weise wie wir damit gesellschaftlich umgehen noch verstärken.



Das Interview führte Mathias Peter (domradio.de)



Hintergrund: Der ehemalige Bundesligaprofi Timo Konietzka hat sich mit Unterstützung des umstrittenen Schweizer Sterbehilfevereins Exit das Leben genommen. Wie die Schweizer Tageszeitung "Blick" (Dienstagsausgabe) berichtete, trank der krebskranke Konietzka am Montagabend in seinem Schweizer Heimatort Brunnen einen Giftcocktail.



Dem Bericht zufolge waren Vertreter der Sterbehilfe-Organisation Exit dabei, als Konietzka seinem Leben ein Ende setzte. Er wurde 73 Jahre alt. Die "Bild"-Zeitung druckte am Dienstag in ihrem redaktionellen Teil eine Todesanzeige, die Konietzka selbst geschrieben habe. "Ich möchte mich an dieser Stelle ganz herzlich bei Exit bedanken, die mich am Montagnachmittag von meinen Qualen erlöst und auf dem schweren Weg begleitet haben", heißt es darin.



Vorwurf: Werbung für das Geschäftsmodell von Exit

Eugen Brysch, Geschäftsführender Vorstand der Patientenschutzorganisation Deutsche Hospiz Stiftung, nannte es entsetzlich, dass Schweizer Sterbehilfeorganisationen immer wieder versuchten, durch die Suizidbegleitung von Prominenten Öffentlichkeit für ihr Geschäftsmodell zu erlangen. "In der Eskalation des Marketings geht es darum, die größtmögliche Aufmerksamkeit zu erhalten", kritisierte Brysch.



In Deutschland ist nach derzeitiger Gesetzeslage aktive Sterbehilfe, anders als in der Schweiz, verboten. Deutschland erlaubt allerdings, wie etliche andere europäische Staaten auch, unter Auflagen die passive Sterbehilfe, also den Verzicht lebensverlängernder Maßnahmen bei Kranken im Endstadium. So darf ein deutscher Arzt etwa ein Beatmungsgerät abschalten, wenn der Todkranke eingewilligt hat. Die gewerbliche Vermittlung von Suizid-Hilfe soll nach Plänen der Regierungskoalition künftig unter Strafe gestellt werden. Damit würde das Verbot aktiver Sterbehilfe konkretisiert.



Konietzka war als Spieler von Borussia Dortmund am 24. August 1963 der erste Torschütze der neu gegründeten Fußball-Bundesliga. Mit Dortmund und 1860 München wurde er Deutscher Meister. Seine Karriere beendete er in der Schweiz.



Jedes Jahr begehen Schätzungen zufolge mehr als 100 Menschen in der Schweiz mit Hilfe von Sterbehilfe-Organisationen Suizid. Viele Sterbewillige, die sich an Exit wenden, stammen aus dem Ausland, auch aus Deutschland. Der gebürtige Westfale Konietzka besaß die Schweizer Staatsbürgerschaft.