Moraltheologe Schallenberg zum Verhalten des Bundespräsidenten

"Es wäre an der Zeit, dieses Spiel zu beenden"

Das Spiel geht weiter. Bundespräsident Wulff verweigert die Veröffentlichung seines Anrufes bei Bild-Chefredakteur Diekmann. Der katholische Moraltheologe Prof. Peter Schallenberg fordert nun im domradio.de-Interview, dass der Bundespräsident nun an einen Rücktritt denken sollte. Die nötige und momentan stattfindende "lückenlose Aufklärung" beschädige das hohe Amt.

 (DR)

domradio.de: Wie haben Sie es gesehen, hat es Wulff tatsächlich in der Sache bereut, so gehandelt zu haben oder nur aufgrund der Tatsache, dass es ihm selbst geschadet hat?

Prof. Schallenberg: Ich habe das Interview so wahrgenommen, dass es aus einem großen Teil aus Floskeln bestand, aus Formeln. Wulff hat versucht, darzulegen, dass er bereut, dass er Fehler gemacht habe, aus denen er gelernt habe. Aber das war ja wohl nicht alleine der Sinn des Interviews. Es ging doch nicht nur um ein Zeichen von Reue, sondern um wirkliche Aufklärung. Da kann man schon Zweifel haben, ob diese Aufklärung gründlich genug war und ob alle Wahrheiten ans Licht gekommen sind.



domradio.de: Die Bild-Zeitung hat nun den Email-Verkehr mit Wulff veröffentlicht, aus dem hervorgeht, dass die Dinge wohl anders liegen, als Wulff gestern beteuerte. Darf ein Bundespräsident denn lügen?

Prof. Schallenberg: In seiner Ausdrucksweise würde Wulff das wohl nicht Lüge, sondern "nicht die volle Wahrheit" nennen. Aber das sind natürlich Haarspaltereien. Ich würde sagen, ohne ihn jetzt als Privatperson zu beurteilen, dass es dem Inhaber dieses Amtes nicht zukommt und ansteht, sich in solcher winkeladvokatorischer Weise zu verhalten. Das Ganze geht ja jetzt schon seit über drei Wochen. Immer wieder wird versucht, darzulegen, dass sein Handeln nicht richtig, aber auch nicht unrecht gewesen sei. Das hat er ja auch gestern wieder gesagt. Auch das ist ja eine Unterscheidung, bei der man sich fragt, ob das dem Amt angemessen ist. Ich finde, das ist dem Amt nicht angemessen! Es wäre an der Zeit, dieses Spiel zu beenden.



domradio.de: Wulff hat ja immer wieder auch um Verständnis für politische Verantwortungsträger gebeten, insbesondere für sich selbst. Doch man fragt sich, warum Wulff keine Probleme damit hatte, seine privilegierte Position dafür zu nutzen, Vorteile daraus auch privat zu nutzen, also in Form von billigen Kreditzinsen und Urlauben, sich aber andererseits darüber echauffiert, dass die Öffentlichkeit über sein Privatleben Bescheid wissen will. Ist das nicht eine eigenartige Doppelmoral?

Prof. Schallenberg: Das würde ich auch so sagen. Man kann nicht auf der einen Seite verlangen, dass man Mensch ist und auf der anderen Seite in das höchste Amt dieses Landes streben und dann noch den Anspruch haben wollen, dass es Dinge gibt, die ganz privat sind und niemanden etwas angehen. Natürlich gibt es solche Dinge, aber das, was sozusagen in der Grauzone zwischen öffentlich und privat liegt, müsste man in diesen hohen Ämtern sehr vorsichtig sein, eher übervorsichtig, als nonchalant zu sagen, dass sei ein Privatbereich, der niemanden etwas anginge. Und die Kredite und auch die Urlauben bei Freunden, fallen auf jeden Fall in diese Grauzone. Das sind ja nicht einfach nur Freunde, sondern sehr vermögende Freunde, Freunde, die möglicherweise dann auch den einen oder anderen Vorteil ergatterten könnten.



domradio.de: Sollte er also zurücktreten?

Prof. Schallenberg: Ich bin nicht befugt, über ihn privat zu Gericht zu sitzen. Aber ich finde, diese Dinge müssten lückenlos aufgeklärt werden. Und dieses Amt wird beschädigt, wenn der Inhaber sich einer lückenlosen Aufklärung unterzieht. Das wäre aber nun die Notwendigkeit und deswegen finde ich es an der Zeit, an Rücktritt zu denken, ja.



domradio.de: Wulf hat auch eine bekannte Bibelstelle aus dem Johannes-Evangelium zitiert, den Ausspruch Jesu: "Wer unter euch ohne Sünde ist, werfe den ersten Stein auf sie." Hinkt der Vergleich nicht etwas, man könnte ja fast daraus schlussfolgern, dass wir in diesem Sinne einfach einmal fünfe grade sein lassen sollten, wenn es um Fehler eines hohen Amtsträgers geht?

Prof. Schallenberg: Es gibt den Privatbereich und den öffentlichen Bereich. Die Privatperson hat sich sicherlich keinem öffentlichen Urteil zu unterziehen. Aber in dem Moment, wo eine Privatperson ein öffentliches Amt bekleidet, gelten noch einmal andere, transparentere, möglicherweise verschärftere Kriterien. Möglicherweise heute in einer sehr, sehr durchsichtigen Mediengesellschaft viel verschärfter als noch vor 20, 30 oder 40 Jahren. Und dann ist dieses Bibelzitat eigentlich nicht mehr am Platze, es gilt ja für die Beurteilung der Person. Wenn man den biblischen Kontext noch einmal ansieht, in dem das Zitat von Jesus fällt: Dann bezieht es sich ja auf diese Frau und Ehebrecherin, es gilt nicht für die Beurteilung eines öffentlichen Amtsträgers. Insofern ist es etwas grenzwertig, dieses Zitat zu bemühen und sich damit einer öffentlichen Beurteilung entziehen zu wollen.



domradio.de: Ist die Breite der Berichterstattung Ihrer Meinung nach angemessen? Wird da ein Präsident aus dem Amt geschrieben?

Prof. Schallenberg: Die Tatsache, dass wir zum großen Teil in einer Mediokratie leben, und nicht einfach in einer Demokratie, wie vielleicht noch in 50er und 60er Jahren, ist richtig. Wir leben in einer von den Medien vorgegebenen sehr beschleunigten Taktung von Informationen und auch einer ungeheuren Transparenzmachung auch privaten Dingen. Die Empfindlichkeit gegenüber privaten Fehltritten ist sicherlich größer als damals. Insbesondere, in dem Punkt der Bedeutung von Wahrheit. Ich glaube, dass die Empfindlichkeit der Öffentlichkeit gegenüber solchen Amtsträgern gewachsen ist, die mit am Rand der Wahrheit balancierenden  Äußerungen, mit Lügen und Halbwahrheiten und Verschweigungen operieren. Ich halte das für richtig. Das ist meines Erachtens ein Vorteil der postmodernen Demokratie, das ist anstrengend und verschleißt möglicherweise viele Personen. Aber dass die Medien zur vierten Gewalt im Staate geworden sind, ist bei einer wettbewerbsorientierten Medienvielfalt eigentlich nur zu begrüßen.



Das Interview führte Christian Schlegel.



Hintergrund

Bundespräsident Christian Wulff steht weiter unter Druck. Einen Tag nach seinem Fernsehinterview mit ARD und ZDF lieferte er sich einen öffentlichen Schlagabtausch mit "Bild"-Chefredakteur Kai Diekmann. Dabei beharrte Wulff ungeachtet zahlreicher Forderungen nach mehr Transparenz auf Vertraulichkeit seiner umstrittenen Nachricht auf der Mailbox Diekmanns. Zuvor waren Zweifel an Wulffs Darstellung laut geworden, dass er mit dem Anruf nur den Aufschub einer kritischen Berichterstattung erreichen und diese nicht gänzlich verhindern wollte.



Diekmann hatte den Präsidenten am Donnerstagvormittag in einem öffentlichen Brief um Zustimmung für eine Veröffentlichung gebeten und zugleich "mit Verwunderung" auf Wulffs Aussagen im Fernsehinterview vom Mittwochabend reagiert. Dort hatte der Bundespräsident gesagt, es sei bei dem Anruf nicht darum gegangen, die Berichterstattung zu seinem umstrittenen Hauskredit zu verhindern, sondern nur um einen Tag zu verschieben.



Der stellvertretende "Bild"-Chef Nikolaus Blome hatte Wulffs Darstellung bereits am Mittwochabend im Deutschlandfunk widersprochen. "Es war ein Anruf, der ganz klar das Ziel hatte, diese Berichterstattung zu unterbinden", sagte er über die umstrittene Nachricht auf Diekmanns Mailbox.



Diekmann schrieb, um Missverständnisse auszuräumen, halte die "Bild"-Zeitung es für notwendig, den Wortlaut der Nachricht zu veröffentlichen. Sie wolle dies aber nicht ohne Wulffs Zustimmung tun.



Wulff antwortete am Nachmittag: "Die in einer außergewöhnlich emotionalen Situation gesprochenen Worte waren ausschließlich für Sie und für sonst niemanden bestimmt." Nach einer persönlichen Entschuldigung seinerseits, die Diekmann angenommen habe, sei die Sache "zwischen uns erledigt" gewesen. "Dabei sollte es aus meiner Sicht bleiben", schrieb Wulff.



Daraufhin erklärte der Sprecher des Springer-Verlages, Tobias Fröhlich: ""Bild" veröffentlicht den Wortlaut nicht." In einer kurzen Stellungnahme der "Bild"-Chefredaktion hieß es: Die Redaktion bedauere die Entscheidung des Präsidenten. "Damit können die im Zusammenhang mit dem Fernsehinterview des Bundespräsidenten entstandenen Unstimmigkeiten, was das Ziel seines Anrufes angeht, nicht im Sinne der von ihm versprochenen Transparenz aufgeklärt werden", hieß es.



Der Bundespräsident hatte in seinem Schreiben an Diekmann hinzugefügt, es erstaune ihn, dass die Nachricht auf der Mailbox über andere Presseorgane den Weg in die Öffentlichkeit gefunden hat: "Es stellen sich grundsätzliche Fragen zur Vertraulichkeit von Telefonaten und Gesprächen. Hier haben die Medien ihre eigene Verantwortung wahrzunehmen."



Wulff hatte im gemeinsamen Fernsehinterview von ARD und ZDF gesagt, der Anruf bei "Bild"-Chefredakteur Diekmann tue ihm leid, das sei ein "schwerer Fehler" gewesen. Er habe aber nur darum gebeten, die Berichterstattung um einen Tag zu verschieben, "damit man darüber reden kann, damit sie sachgemäß ausfallen kann".



Wulff war auf einer Auslandsreise in der Golfregion, als die "Bild"-Zeitung am 13. Dezember erstmals über seinen umstrittenen Privatkredit berichtet hatte. Wulff hatte 2008 als niedersächsischer Ministerpräsident von dem befreundeten Unternehmerpaar Egon und Edith Geerkens einen Kredit von 500.000 Euro erhalten.



Insgesamt 11,5 Millionen Zuschauer sahen am Mittwochabend das Fernsehinterview von Bundespräsident Wulff bei ARD und ZDF. 8,04 Millionen Menschen sahen ab 20.15 Uhr im Ersten zu, wie die ARD mitteilte. Beim ZDF waren es nach Senderangaben 3,45 Millionen. Zusammen erreichten die beiden Sender einen Marktanteil von 33,9 Prozent.



Am Donnerstagvormittag veröffentlichten Wulffs Anwälte eine zusammenfassende Stellungnahme zu Medienanfragen an den Bundespräsidenten, bei denen es in den vergangenen Wochen unter anderem um den Privatkredit sowie Urlaubsaufenthalte des Ehepaars Wulff bei befreundeten Unternehmern ging. Rechtsverstöße habe man nicht festgestellt, "Tatbestände der Vorteilsnahme oder Vorteilsgewährung haben sich nicht ergeben", hieß es. Zu dem Anruf bei Diekmann gaben die Anwälte keine Auskünfte und verwiesen auf die Erklärungen des Bundespräsidenten.