Moraltheologe: Kirche will eine menschenwürdige Sexualität lehren

Die großen Ideen Gottes im Heute

Die kirchliche Sexualethik sollte sich laut dem katholischen Moraltheologen Peter Schallenberg stärker am Alltag der Menschen orientieren. Er spricht sich im domradio für Änderungen aus, aber gegen einen Paradigmenwechsel.

Ein junges Paar beim Weltjugendtag (KNA)
Ein junges Paar beim Weltjugendtag / ( KNA )

domradio.de: Bischof Ackermann wird für seine liberalen Aussagen von konservativen Kräften bereits kritisiert, aber Bemühungen die strenge Morallehre etwas zu weiten, die gibt es doch schon länger, oder?

Peter Schallenberg (Professor für Moraltheologie an der Theologischen Fakultät Paderborn): Ja, das gehört jetzt zum täglichen Geschäft der Kirche: die Ideale und die großen Ideen herunterzubrechen auf den Alltag. Im Evangelium haben wir den schönen Satz, derjenige ist der Größte im Himmelreich, der die Gesetze Gottes hält und halten lehrt, und der Nachsatz ist besonders wichtig 'halten lehrt'. Das ist die Aufgabe der Kirche: Durch die Jahrhunderte hindurch auf den Willen Gottes aufmerksam zu machen und versuchen in unterschiedlichen Lebenswelten diese großen Ideen Gottes von Liebe, von Treue, von Vergebung durchhalten zu können. Deswegen ist das, was Bischof Ackermann jetzt gesagt hat und geäußert hat, gar nichts Neues.

Es gehört zum täglichen Geschäft der Kirche, dass wir von den zehn Geboten, von den großen Prinzipien ausgehen, das herunterdeklinieren bis auf die Lebenswirklichkeit von Rio de Janeiro, von Oslo, von Zürich, von Berlin, von Delhi. Und das sind jeweils sehr unterschiedliche Lebenswirklichkeiten.

Paul VI. spricht in seiner berühmten Enzyklika Humane Vitae von der Gradualität des Gesetzes, die nicht gegeben ist. Das Gesetz gilt grundsätzlich für jeden: 'Du sollst Deinen Nächsten lieben, wie Dich selbst', aber er spricht von einem Gesetz der Gradualität. Das heißt es gibt unterschiedliche Möglichkeiten, das Gebot in der eigenen Lebenswelt zu erfüllen.

domradio.de: Keusch bis zur Ehe, Verhütung nur auf natürlichem Wege, und eine zivile Wiederheirat ist eine schwere Sünde - warum ist die Kirche so strikt in diesen Fragen?

Schallenberg: Die Bezeichnung 'schwere Sünde' hat ja Stephan Ackermann jetzt auch in Frage gestellt. Das ist ja eine Bezeichnung, die wir erst im späten Mittelalter finden. Nie ist ganz genau definiert worden, was ist 'schwere Sünde'. Immer waren die Bedingungen "schwere Materie", 'Bewusstheit' und 'Freiheit'.

Schon bei der Freiheit sind Fragezeichen zu machen. Wie frei ist ein Mensch? Wir kennen das aus dem Strafrecht, aus dem Prozessrecht, aus Gutachterprozessen. Also die Schuldhaftigkeit, eingeschränkte Freiheit. Dann die Bewusstheit: Wie weit ist sich jemand bewusst, dass es wirklich schwere Sünde ist?

Zur schweren Materie gehört traditionell auch das sechste Gebot ("Du sollst nicht Ehe brechen", Anm.d.Red.), weil der Menschen eben über seinen Leib kommuniziert und wir wissen das aus den Diskussionen um die Strafbarkeit von Prostitution, um die Strafbarkeit von Zuhälterei, um die Strafbarkeit von Vergewaltigung selbst in der Ehe, dass die Leiblichkeit ein sehr wichtiger Bestandteil des Menschseins ist. Wir sind keine freifliegenden Engel, sondern wir kommunizieren durch leibliche Sprache.

Deswegen ist die Kirche da vielleicht manchmal etwas überstreng: Weil sie die Befürchtung hat, der Leib könnte zu so einer Art beliebiger Spielwiese werden und das wäre zu vermeiden. Da sind sich sicher alle Menschen guten Willens einig, dass das nach Möglichkeit zu vermeiden ist.

Die Kirche ist vielleicht manchmal etwas übersensibel in diesem Punkt.

domradio.de: Bischof Ackermann erwartet nicht, dass die katholische Lehre völlig verändert wird, aber Kriterien erarbeitet werden können, die Einzelfälle verantwortbar machen. Erwarten Sie bei der Bischofssynode im Oktober eine substanzielle Veränderung der Morallehre und wie tief könnte die gehen?

Schallenberg: Es könnte schon sein, dass wir auf diesem Weg, den Bischof Ackermann zurecht angemahnt hat, dass wir über Einzelfälle und über diese Gradualität des Gesetzes nachdenken, dass wir auf diesem Weg ein Stück voran kommen auch auf der Synode im Oktober.

Die Grundfrage ist ja immer, von welchen Geboten kann es Ausnahmen geben? Wir nennen die Gebote, von denen es keine Ausnahmen unter keinen Umständen geben kann, das in sich Schlechte. Die direkte Tötung eines Unschuldigen ist immer in sich schlecht, auch bei uns im Strafrecht. Es gibt keine Entschuldigung dafür, außer beispielsweise - und so sehen wir, dass es fast nichts gibt, von dem es nicht auch Ausnahmen gibt - außer die Selbstverteidigung gegen einen ungerechten Angreifer, aber da würden wir sagen, ist es nicht eben unschuldig, sondern ein schuldiger Angreifer. Die aktive Tötung eines Unschuldigen ist also immer in sich schlecht. Da gibt es keine Ausnahmen von. Das ist aber sozusagen ein sehr sehr eng gefasster Tatbestand.

Und jetzt wird diskutiert, gibt es im Bereich der Sexualmoral, gibt es da Tatbestände, die ähnlich scharf und strikt wie dieses Tötungsverbot aussehen oder kann es Ausnahmen geben? Da mahnt Bischof Ackermann, wie ich finde zu Recht an, dass wir im Feld der Sexualethik doch über Ausnahmen auch nachdenken müssen. Die grundsätzliche Ausrichtung des Gesetzes ist ja: Du sollst Deinen Nächsten lieben wie Dich selbst. Darum geht es ja.

Es geht ja nicht um die Beurteilung von Sexualpraktiken an und für sich, sondern es geht darum, dass der andere durch Sexualität wirklich geliebt wird und nicht einfach nur benutzt wird, dass wir auf diesem Felde in der Lage sind zu sagen, es gibt schwerere und minder schwere Vergehen. Wir wollen versuchen, den Menschen zu einer menschenwürdigen Sexualität zu verhelfen, dass der andere wirklich aufmerksam und liebevoll immer mehr in den Blick gerät. Das ist aber ein lebenslanger Weg und wird nicht in einem oder in zwei Jahren gelingen.

Das Interview führte Mathias Peter


Msgr. Prof. Peter Schallenberg / © ksz
Msgr. Prof. Peter Schallenberg / © ksz
Quelle:
DR