Mohammed-Film gefährdet Pakistans Christen

"Bereitschaft für Religion zu töten"

Muslime auf der ganzen Welt demonstrieren seit bald zwei Wochen gegen ein Video, das Mohammed verunglimpft. Mordaufrufe gegen den Filmmacher, Tote bei Unruhen - besonders heftig fallen die Reaktionen in Pakistan aus. Eva-Maria Kolmann von "Kirche in Not" warnt im domradio.de-Interview vor den Folgen für die Christen im Land.

 (DR)

domradio.de: Frau Kolmann, warum ist der Zorn gerade in Pakistan so groß?

Kolmann: In Pakistan spielen kleine extremistische Gruppen eine sehr große Rolle in der Gesellschaft. Es gibt im Land sehr viel verschiedene muslimische Gruppen, und davon sind einige extremistisch. Das ist nicht die Mehrheit der Bevölkerung, aber es sind Menschen, die die Stimmung aufheizen, weil sie einen sehr großen Einfluss haben. Und da die Regierung sehr schwach ist, werden diese Gruppen nicht gestoppt, sondern im Gegenteil eher stärker.



domradio.de: Er vor kurzem schaute die Welt entsetzt nach Pakistan. Ein junges Mädchen, eine Christin, wurde wegen angeblicher Blasphemie angeklagt, theoretisch drohte ihr sogar die Todesstrafe. Wenn es um Religion geht, versteht das Land keinen Spaß, so scheint es. Stimmt der Eindruck?

Kolmann: Ja, denn es gibt nicht nur die Extremisten. Wenn es um die Religion geht, gibt es grundsätzlich eine große Emotionalität. Die Bereitschaft ist sehr groß, für die Religion zu sterben - und für die Religion zu töten. In diesem Fall wurde nicht hinterfragt, ob das Mädchen zurechnungsfähig ist, ob sie lesen kann oder ob sie minderjährig ist. In Fällen einer vermeintlichen Koranschändung wird das in der Regel nicht getan. Es wird gesagt: Wenn jemand angeklagt wird, ist er schuldig. Hinzu kommt, dass das Blasphemiegesetz oft missbraucht wird, um unliebsame Personen aus dem Weg zu räumen. Wenn jemand behauptet, sein Nachbar habe Koranseiten verbrannt oder den Propheten Mohammed geschmäht, gibt es den riesigen Aufstand eines gewalttätigen Mobs, oft angestachelt durch einen Mullah. Was wirklich stattgefunden hat, wird dann oft nicht mehr gefragt.



domradio.de: Ist diese Form des Glaubensverständnisses weit verbreitet in Pakistan? Der Autor Salman Rushdie spricht von "einer Wutindustrie, die eigentlich nichts mit Religion zu tun habe" in Ländern wie Pakistan.

Kolmann: Nicht jeder Pakistani ist fanatisch. Es gibt viele friedfertige und moderate Muslime in Pakistan. Und auch sie leiden unter den Extremisten - die zum Teil auch gegen muslimische Gruppen vorgehen, die ihnen zu liberal sind. Man darf nicht alle Pakistanis über einen Kamm scheren. Aber dadurch, dass große Teile der Bevölkerung nicht über die nötige Bildung verfügen, fällt der Fanatismus auf einen guten Boden. Es gibt Koranschulen, in denen kostenlose Bildung  für arme Kinder angeboten wird. Teilweise versprechen Taliban, dass sie Kinder ausbilden - und machen aus ihnen Selbstmordattentäter. Es gibt Schulbücher, in denen Hass geschürt wird: gegen Christen, Hindus, Israel und die USA. Das ist ein großes Problem in der Gesellschaft.



domradio.de: Was bedeutet dieses Klima für die Christen im Land - auch in der aktuellen Situation?

Kolmann: Werke aus dem Westen wie das Mohammed-Video gefährden in Ländern wie Pakistan das Leben von Christen. In einer ohnehin angespannten gesellschaftlichen Situation wie der in Pakistan, kann eine solche Provokation dazu führen, dass kirchliche Kindergärten und Schulen angezündet werden. Deshalb warne ich davor, diese uns mögliche Meinungsfreiheit derart auszuweiten.



Zur Person: Eva-Maria Kolmann vom katholischen Hilfswerk "Kirche in Not" hat das Buch "Pakistan - Christen im Land der Taliban" geschrieben.



Das Gespräch führte Philipp Wichrowski.