Modellprojekt "klartext!" hilft bei Tod und Trauer

Ventil für verzweifelte Jugendliche

Ob in sozialen Netzwerken, virtuellen Kondolenzbüchern oder eigens eingerichteten Seiten - das Internet ist schon längst zum Ort der öffentlichen Trauer geworden. Auch bei der Plattform "klartext!" geht es um die Erinnerung an Verstorbene und die Hilfe beim Umgang mit Verlust.

Autor/in:
Andreas Otto
 (DR)

Anne traut sich als erste - und lässt ihre tiefe Verzweiflung heraus. Es ist schon zwei Jahre her, dass ihr "großer Bruder" an Knochenkrebs gestorben ist. Doch ihn vermisst die 21-Jährige nach wie vor "wahnsinnig doll". Familie und Freunde meinen aber, "dass langsam alles weitergehen muss". Kein Verständnis für die unendliche Trauer. Bei "klartext!" aber findet Anne einfühlsame Menschen. Hier können sich Jugendliche seit zwei Jahren ohne Hemmungen über ihren Verlust auslassen - halt Klartext reden.



"klartext!" ist zum einen eine Internetplattform. Im "Forum" von www.klartext-trauer.de hat sich Anne als erste zu Wort gemeldet - und einen Tag später von Stefan (Namen geändert) Antwort und viel Zuspruch bekommen. Auch er hat seinen Bruder verloren und seitdem jeden Tag "Gedanken, die einen richtig fertig machen". Neben dem "Forum" gibt es aber auch am Montag-, Mittwoch- und Donnerstagabend einen Chat, den Mitarbeiterinnen des Kinder- und Jugendhospizes Balthasar in Olpe moderieren. Die Einrichtung hat das bundesweit einmalige Projekt vor zwei Jahren ins Leben gerufen und bietet in dessen Rahmen auch ganz persönliche Beratungen an - über ein Sorgentelefon an den drei Abenden und per E-Mail.



Die Trauer aushalten

Ob Forum oder Chat, ob E-Mail oder Telefongespräch - immer wieder werden die Mitarbeiter mit Schicksalsschlägen konfrontiert. Eine Jugendliche hat durch einen Unfall beide Eltern verloren. Und als ob das noch nicht reicht, sterben dann auch noch zwei weitere nahe Verwandte. Ein anderer kommt mit einem Doppelverlust nicht zurecht: Erst tötete sich der Bruder, dann verließ der Vater die Familie.



Wenn die Jugendlichen die "klartext!"-Mitarbeiterinnen mit ihren Erlebnissen konfrontieren, können die ihnen die Trauer nicht nehmen. Aber sie versuchen, am Telefon die bedrückenden Lebensgeschichten und mitunter langes Weinen auszuhalten. Viele Jugendliche fühlen sich wegen ihrer tiefen Trauer verunsichert - und können dann hören, dass ihre Gefühle alles andere als unnormal sind. Gemeinsam wird überlegt, was in der Krise guttun könnte: einen Brief an den Verstorbenen schreiben, ein Tagebuch beginnen, einen Luftballon mit Wünschen aufsteigen lassen...



"klartext!" kennt keine Fristen

Die Mitarbeiterinnen arbeiten sonst als Krankenschwestern oder Sozialpädagogen im Kinder- und Jugendhospiz, haben sich überdies für "klartext!" in Trauerbegleitung oder Gesprächsführung weitergebildet. Immer wieder geht es in den Gesprächen um einen besonders wunden Punkt: Während die Eltern beim Tod eines Kindes viel Anteilnahme erfahren, bleiben die nicht minder betroffenen Geschwister völlig unbeachtet. Und: Die jungen Menschen verspüren Ablehnung, wenn ihre Trauer länger als einige Wochen andauert. So klagt ein Jugendlicher über die Erwartung, "dass man so schnell wie möglich wieder funktioniert".



"klartext!" kennt keine Fristen. Die trauernden Jugendlichen können sich immer wieder per Telefon oder Internet melden. Oder wie Stefan wochenlang abtauchen, bis er dann doch mal wieder schreibt. Längst hat sich Jasmin, deren Schwester bei einer Sprachreise in England starb, neu in den "Forum"-Austausch eingeklinkt. Und schließlich kommt noch Andrea hinzu, deren Bruder eine Knochenkrankheit nicht überlebte.



Die vier bewegen ganz unterschiedliche Fragen. Etwa wie man den Geburtstag des verstorbenen Bruders begeht? Oder ob man eine Anzeige zum Todestag schalten soll? Andrea quält sich vor allem mit einem Gedanken: Sie habe ihren Bruder so geliebt, es ihm aber nie gesagt.

Und dann geht es auch um Existenzielles: Anne kann nicht mehr so an den "lieben Gott" glauben. Munter wird diskutiert, ob mit dem Tod alles vorbei ist. So verschieden die Antworten auch ausfallen, so herzlich enden die Beiträge: mit einer virtuellen, aber doch umso kräftigeren "dicken Umarmung".