Die nächste Strophe im Streit um die Nationalhymne

Misstöne und Missverständnisse

Erst ein Eklat bei der AfD, jetzt ein Sturm der Entrüstung, ausgelöst vom Linken-Politiker Bodo Ramelow. Im Zentrum des ganzen steht die Nationalhymne. Im "Lied der Deutschen" steckt offenbar nach wie vor jede Menge Musik

Autor/in:
Joachim Heinz
Deutsche Fans singen die Nationalhymne / © Rene Tillmann (dpa)
Deutsche Fans singen die Nationalhymne / © Rene Tillmann ( dpa )

Mit ein paar Sätzen hat Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow (Die Linke) einen wahrhaft vielstimmigen Chor aus Kritikern in Szene gesetzt. "Ich singe die dritte Strophe unserer Nationalhymne mit, aber ich kann das Bild der Naziaufmärsche von 1933 bis 1945 nicht ausblenden", sagte Ramelow der "Rheinischen Post" (Donnerstag).

Ostdeutsche tun sich manchmal schwer

Auch manche Ostdeutsche täten sich mit der Hymne schwer. Nach dem Mauerfall sei der Vorschlag des verfassungsgebenden Runden Tisches der DDR abgelehnt worden, zugunsten von Bertolt Brechts "Kinderhymne" auf beide deutschen Hymnen zu verzichten. Vielleicht gäbe es aber etwas ganz Neues, so Ramelow. "Einen neuen Text, der so eingängig ist, dass sich alle damit identifizieren können und sagen: Das ist meins."

Das "Lied der Deutschen" hat eine lange Geschichte. August Heinrich Hoffmann von Fallersleben textete es 1841 zu der von Joseph Haydn komponierten Melodie "Gott erhalte Franz den Kaiser". 1922 wurde es faktisch zur Nationalhymne, Reichspräsident Friedrich Ebert hob schon damals besonders die dritte Strophe von Einigkeit und Recht und Freiheit hervor. Die Nationalsozialisten sangen dagegen nur die erste Strophe "Deutschland, Deutschland, über alles" und schlossen daran das SA-Lied "Die Fahnen hoch, die Reihen fest geschlossen" an.

1945 herrschte zunächst einmal Funkstille. Das Grundgesetz der Bundesrepublik erwähnte die Hymnenfrage mit keinem Ton, die DDR verabschiedete sich wenig später komplett von Hoffmanns Zeilen. Erst 1952 kam die Bundesrepublik wieder auf Hoffmanns dritte Strophe zurück - nach einem Briefwechsel zwischen Bundeskanzler Konrad Adenauer und Bundespräsident Theodor Heuss.

Nach der Wende, am 19. August 1991, ergriff der damalige Bundespräsident Richard von Weizsäcker die Initiative und legte in einem Brief an Bundeskanzler Helmut Kohl die Hymne auch für das wiedervereinigte Deutschland fest. Gar nicht so einfach also, die Sache mit dem "Lied der Deutschen, wie der Berliner Historiker Clemens Escher erläutert. "Wer Einigkeit und Recht und Freiheit mit Naziaufmärschen in Verbindung bringt, liegt historisch mächtig schief."

Kritik von CDU und AfD

Heftige Kritik an Ramelows Vorstoß kam aus CSU und AfD. "Hände weg von unserer Nationalhymne", sagte CSU-Generalsekretär Markus Blume der "Rheinischen Post" (Freitag). Der Vorsitzende der AfD-Bundestagsfraktion, Alexander Gauland, teilte mit, es sei ihm unbegreiflich, "wie Bodo Ramelow beim Singen unserer Nationalhymne an die Zeit des Nationalsozialismus denken kann."

Ausgerechnet die AfD-Gruppierung "Der Flügel" hatte allerdings zu Wochenbeginn für einen Eklat gesorgt, indem Teilnehmer dort zum Schluss alle drei Strophen des Deutschlandliedes sangen - also auch die von den Nazis favorisierten Zeilen. "Bei Burschenschaften mag das Singen der ersten Strophe in der Vergangenheit unter Ausschluss der Öffentlichkeit immer mal wieder zur Übung gehört haben", kommentierte Historiker Escher diesen Vorfall. "Bei Parteiveranstaltungen ist es ein kalkulierter Tabubruch - wenn auch nicht gesetzlich verboten."

Hier zeige sich einmal mehr, "dass der schwammige Begriff des 'Rechtspopulismus' der AfD mehr nutzt, als dass dieser die Partei adäquat beschreibt." Wer seine Mitglieder mit "Liebe Verdachtsfälle!" begrüße, "hält nichts von unserer Verfassung und wird sie im Zweifel nicht schützen", so Escher. "Das sollte uns zum 70. Geburtstag des Grundgesetzes zu denken geben."

Unterdessen meldete sich der ehemalige Bundestagspräsident Wolfgang Thierse zum Vorstoß Ramelows auf t-online.de mit moderaten Zwischentönen zu Wort. "Ich könnte mir vorstellen, die Hymne ergänzen zu lassen, um eine zweite und dritte Strophe, geschrieben von zeitgenössischen Dichtern", so der SPD-Politiker.

Im "Hymnenstreit" der frühen Bundesrepublik, den Escher in seiner Doktorarbeit untersuchte, gab Bundespräsident Heuss höchstselbst eine Komposition in Auftrag und stellte sie am 31. Dezember 1950 vor. Das Echo fiel wenig harmonisch aus. Der Poet Gottfried Benn ätzte: "Der Text ganz ansprechend, vielleicht etwas marklos, der nächste Schritt wäre dann ein Kaninchenfell als Reichsflagge." Auch Umfragen ließen "Theos Nachtlied" schnell alt aussehen.


Bodo Ramelow im Portrait / © Martin Schutt (dpa)
Bodo Ramelow im Portrait / © Martin Schutt ( dpa )
Quelle:
KNA