Misereor steht vor Führungswechsel

Ein Global Player

Das weltweit größte katholische Entwicklungshilfswerk Misereor steht vor einem Führungswechsel: In Fulda wollen die deutschen Bischöfe einen Nachfolger für Hauptgeschäftsführer Josef Sayer bestimmen, der das Hilfswerk seit 1997 leitet - und seitdem zu einem der wichtigsten Gestalter der Entwicklungshilfe wurde.

Autor/in:
Christoph Arens
 (DR)

Der Priester ist ein Global Player. Geboren 1941 im heutigen Serbien, gelangte er nach Kriegsende nach Deutschland. Nach einem Studium der Theologie und Philosophie in Tübingen und Rom und einem Studium der Sozialwissenschaften und Geschichte in Konstanz lebte er von 1981 bis 1988 in Peru, das ihm zur zweiten Heimat geworden ist. Als Priester der Erzdiözese Cuzco war er unter anderem in der Seelsorge mit Quechua-Kleinbauern in den Anden tätig. 1987 und 1988 arbeitete er in einer Slumpfarrei in Lima.



Gemeinsam mit der Peruanischen Bischofskonferenz entwickelte Sayer während des dortigen Bürgerkriegs Konzepte für die Arbeit der Kirche in sozialen Fragen und für Menschenrechte. Von 1988 bis 1998 lehrte er dann als Professor für Pastoraltheologie im Schweizerischen Fribourg. Forschungsschwerpunkte waren die Inkulturation des Christentums in die Quechuakultur und die Gemeindeentwicklung.



Mit dieser Verbindung aus Theorie und Praxis ist Sayer zu einem wichtigen Gestalter der Entwicklungshilfe geworden. Und zu einem Mahner, der davor warnt, westliches Denken einfach auf die Länder des Südens zu übertragen. "Wir können unsere Zeit-Konzepte nicht überstülpen über Menschen in ländlichen Räumen oder Slums", betont er. In Peru habe er erlebt, "dass wir mit unseren westlichen Methoden gar nicht die Zeit messen, die für die Menschen Bedeutung hat. Die Menschen dort sind geprägt von wiederkehrenden Ereignissen, Festen, der Aussaat, der Sonne".



Berater der Politik

Mit solchen Einschätzungen ist der Misereor-Chef auch Berater der Politik geworden. So informierte er Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) vor ihrer Afrikareise über die Situation in Liberia. Und er war offizieller Beobachter des Referendums über die Unabhängigkeit des Südsudan. Von 2001 bis 2007 gehörte Sayer auch dem Rat für Nachhaltige Entwicklung (RNE) der Bundesregierung an.



Sayer verlässt das 1958 gegründete Hilfswerk Misereor in einer Zeit, in der Entwicklungspolitik ganz neu diskutiert wird - dafür haben nicht zuletzt der weltweite islamistische Terrorismus, die Finanzkrise und die Debatten um eine gerechte Gestaltung der Globalisierung gesorgt. Dabei sieht sich das Bischöfliche Hilfswerk gut aufgestellt: Gegründet in der Zeit des Kalten Krieges und des ausgehenden Kolonialismus, sollte die Hilfe von Misereor unabhängig von der Religionszugehörigkeit sein: "Das Armutskriterium sollte das einzige Kriterium sein - und ist es bis heute", betont Sayer.



Ziel ist die "Hilfe zur Selbsthilfe". Zu den Projekten gehören politische Bildung und Menschenrechtsarbeit: etwa die Förderung von Frauenrechten, Kampf gegen Kinderprostitution und den Einsatz von Kindersoldaten. Umweltschutz, Kampagnen gegen Aids, Rechtsbeistand für Flüchtlinge. Misereor setzt auf Dialog: Die Kirchen Asiens, Lateinamerikas und Afrikas sollen auch voneinander lernen, wie sie mit Krisen umgehen.



Sayer sieht Gefahr für das weltkirchliche Bewusstsein

Auch die Nord-Süd-Hilfe ist keine Einbahnstraße. Wo der reiche Norden ratlos vor der Zusammenlegung von Gemeinden zu Großpfarreien steht, können die Kirchen des Südens ihre Erfahrungen einbringen, meint Sayer. Die Basisgemeinden als Kirche vor Ort - eine Zwischenstruktur, die angesichts des Priestermangels auch für Europa diskutiert werden kann. Dabei kann sich der scheidende Misereor-Chef auch die Weihe "erprobter verheirateter Männer" zu Priestern vorstellen.



Dass in Deutschland immer mehr Gemeinden zu eher anonymen Großgemeinden zusammengelegt werden, sieht Sayer auch als Gefahr für das weltkirchliche Bewusstsein der deutschen Katholiken. Sie kreisten zu sehr um ihre eigenen Probleme, meint er. "Die nachwachsende Generation, die in der Kirche Verantwortung übernehmen soll, müsste ein feineres Sensorium dafür entwickeln, was es heißt, Kirche zu sein in der Einen Welt."