Misereor richtet Appell an EU-Afrika-Gipfel

Untragbaren Zustände in den Flüchtlingslagern

Die Staats- und Regierungschefs der EU und der afrikanischen Staaten sind in Brüssel zum vierten EU-Afrika-Gipfel zusammengekommen. Misereor-Geschäftsführer Martin Bröckelmann-Simon fordert , den Blick auf die Flüchtlingstragödie zu richten.

Flüchtlinge auf Lampedusa (dpa)
Flüchtlinge auf Lampedusa / ( dpa )

domradio.de: Das sind nicht wenige Menschen, die da versuchen die Grenzen zu überwinden, oder?

 

Martin Bröckelmann-Simon: Das sind viele und die Bilder sind sehr eindrücklich, gerade aktuell versuchen es sehr viele, das hat sicher unterschiedliche Ursachen. Ohnehin ist ja die Motivlage, die Menschen dazu bringt, ihre Heimat zu verlassen und dieses Risiko für Leib und Leben und eine unsichere Zukunft einzugehen, sehr unterschiedlich. Es gibt die kriegs- und gewaltbedingten Fluchtursachen, aber natürlich auch die Hoffnungslosigkeit, die Perspektivlosigkeit vieler Menschen, die sie dazu bringt, den Weg auf sich zu nehmen. Und all das bildet das Gemisch, was dann dazu führt, dass viele, vor allem junge Leute, meistens sogar engagierte, qualifizierte Menschen sich da auf den Weg machen, was sie dazu bringt, dieses Wagnis einzugehen.

 

domradio.de: Und dass es dort so einen Zaun gibt, das zeigt auch, wie die EU mit dem Thema im Moment umgeht: Die Devise lautet Abschottung, man will die Flüchtlinge nicht ‑ weil das natürlich unheimlich viel Geld kostet.

Bröckelmann-Simon: Das stimmt und das wissen wir übrigens nicht nur von der EU, auch die USA machen das ja ähnlich. Es werden Mauern hochgezogen und Zäune errichtet, um den Andrang von Migranten und Flüchtlingen abzuwehren, und das ist eine unmenschliche Politik. Das wird in den USA jetzt auch von den US-Bischöfen kritisiert. Und auch in Deutschland und in Europa gibt es da seitens der Kirche sehr eindrückliche Stimmen: Papst Franziskus hat von der Notwendigkeit einer Willkommenskultur gesprochen. Und ich glaube, darum geht es: Es gibt verschiedenste Ansätze, die Ursachen von Flucht und Migration an der Wurzel zu bekämpfen. Entwicklungspolitik hat da eine Aufgabe, wir kümmern uns seit Jahren darum, aber sie stößt natürlich auch an ihre Grenzen, wenn die Rahmenbedingungen nicht stimmen. Und letztendlich wird auch all das nicht helfen, den Andrang komplett einzudämmen. Insofern brauchen wir auch ein positives Verhältnis zum Thema Migration und Mobilität. Es muss eine positiv gesendete Haltung der EU gegenüber Flucht und Migration geben, die positiven Aspekte von Mobilität müssen aufgegriffen werden. Und das ist eben auch eine Aufgabe, der sich die EU in ihrem Verhältnis zu Afrika stellen muss.

domradio.de: Jetzt sitzen heute und morgen die Verantwortlichen zusammen ‑ Regierungschefs der EU und aus Afrika ‑ werden die das Thema angehen oder geht's da eher um wirtschaftliche Dinge?

Bröckelmann-Simon: Das steht zumindest im Entwurf des Schlussdokuments, da gibt es ein eigenes Kapitel ‚Migration und Entwicklung‘ – dort ist auch davon die Rede, dass Migration und Mobilität als ein positives Phänomen behandelt werden sollen. Die Worte stehen also in der Erklärung. Die Frage ist natürlich: Was ist die Konsequenz? Wir haben auf europäischer Ebene vor allen Dingen in Abwehrmaßnahmen investiert. Die Grenzüberwachungsbehörde Frontex ist ausgebaut worden und kostet sehr viel Geld, aber es gibt nach wie vor keinen vernünftigen gemeinsamen europäischen Ansatz für eine abgestimmte Flüchtlings- und Migrationspolitik. Und es gibt auch keine Behörde, die sich um die Belange von Flüchtlingen und Migranten länderübergreifend kümmern würde. Da ist jedes Land auf sich allein gestellt und macht es auf eigene Kappe. Wir sehen es z.B. am unterschiedlichen Umgang mit den Flüchtlingen aus Syrien: Da gibt es überhaupt keine abgestimmte und gemeinsame Haltung. Das ist aber dringend notwendig, es muss ein positiver Zugang zur Mobilität gefunden werden, und wir müssen eine Willkommenskultur gegenüber Afrikaner/innen entwickeln, die zu uns kommen und die ja dann auch dazu beitragen, dass hier die Dinge vorangehen.

domradio.de: Was können denn die afrikanischen Staaten tun, welchen Beitrag können sie leisten?

Bröckelmann-Simon: Es gibt nach wie vor große Klagen über die untragbaren Zustände in den Flüchtlingslagern innerhalb Afrikas. Ich kenne das auch aus eigener Anschauung. Da ist sicher viel zu tun. Und die afrikanischen Länder sind ohnehin diejenigen, die die größte Last von Flucht und Migration zu tragen haben. Pro Kopf hat Afrika einfach die größte Last auf den Schultern. Insofern müssen die afrikanischen Staaten auch ihrerseits dieses Thema ganz dringend aufgreifen, es braucht eine Veränderung der politischen Rahmenbedingungen, gute bzw. schlechte Regierungsführung ist oft auch eine der Ursachen, warum Menschen sich auf den Weg machen: Es braucht also ein positives demokratisches Klima, Ansätze verbesserter Versorgung mit Grunddiensten und sozusagen ein Licht am Horizont, dass es sich auch innerhalb des eigenen Landes zum Guten wendet – das sind natürlich alles notwendige Maßnahmen, die die Afrikaner selbst ergreifen müssen. Sie sind ja an dieser Schlusserklärung beteiligt, und dem Text nach zu urteilen, erkennen sie auch ihre Eigenverantwortung an. Aber ich glaube, dass es in Abstimmung zwischen EU und den afrikanischen Staaten insbesondere in Nordafrika so etwas wie Migrationsaufnahmezentren braucht, wo man gemeinsam daran arbeitet, legale Migration möglich zu machen.


Flüchtlingsboot bei Lampedusa (dpa)
Flüchtlingsboot bei Lampedusa / ( dpa )
Quelle:
DR