Misereor-Geschäftsführer Sayer zu Klimawandel und UN-Gipfel

"Extremes Konfliktpotential"

In New York kamen am Dienstag rund 100 Staats- und Regierungschefs zum UN-Klimapfel zusammen. Knapp drei Monate vor den abschließenden Klimaverhandlungen in Kopenhagen signalisierten auch China und die USA Veränderungswillen. Nun müssten den Worten auch Taten folgen, mahnt Misereor-Hauptgeschäftsführer Josef Sayer.

Misereor-Hauptgeschäftsführer Josef Sayer (DR)
Misereor-Hauptgeschäftsführer Josef Sayer / ( DR )

Sayer war mit einer Kirchendelegation in New York und traf mit Vertretern verschiedener Länder sowie der Vereinten Nationen zusammen. Mit der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA) sprach Sayer über Fortschritte im Kampf gegen den Klimawandel, weitere notwendige Schritte und die Rolle der Kirche.

KNA: Herr Sayer, Sie haben in New York viele Gespräche geführt.
Welchen Eindruck nehmen Sie mit: Geht der Klimaschutz voran?
Sayer: Zumindest scheint das Bewusstsein dafür stärker vorhanden zu sein. In den vergangenen zwei Jahren ist das Thema sehr technisch behandelt worden. Das hat auch der Generalsekretär des UN-Klimasekretariats, Yvo de Boer, gesagt. Anliegen der Kirche ist es, dem Klimawandel und seinen Auswirkungen wieder ein menschliches Gesicht zu geben; deutlich zu machen, dass und wie Menschen unter den Folgen von Dürre, Flut und anderen Katastrophen leiden. Um das zu erreichen, führen wir Gespräche mit Vertretern verschiedener Länder.

KNA: Und Sie haben den Eindruck, dass diese Botschaft ankommt?
Sayer: Ja, ich denke schon. Nehmen wir zum Beispiel den deutschen Umweltminister Sigmar Gabriel, den ich auch getroffen habe. Er sagte uns: «Die Armen haben den Klimawandel nicht verursacht, haben aber am meisten darunter zu leiden.» Außerdem sei Hilfe bei den Folgen des Klimawandels keine Frage der Mildtätigkeit, sondern der Gerechtigkeit. Das ist genau die Position, die die Kirche auch vertritt.

KNA: Das sind aber, ebenso wie die Äußerungen anderer Länder, erst einmal nur Worte.
Sayer: Natürlich müssen den Worten auch Taten folgen. Und die Rückmeldung, die wir aus den Entwicklungsländern bekommen, ist oft eine sehr andere als der Eindruck der Industriestaaten. Der Präsident der Malediven sagte etwa, dass sich in den vergangenen beiden Jahren nichts geändert habe, und dass er der letzte Präsident des Inselstaates sei, weil dieser untergehen werde. Das sind drastische Worte, die notwendig sind und gehört werden müssen.

KNA: Was muss aus Ihrer Sicht getan werden, um dem Problem zu begegnen?
Sayer: Klimawandel ist ein globales Problem, dem global begegnet werden muss. Denn der Klimawandel und seine Folgen bergen ja auch ein extremes Konfliktpotential; etwa, wenn Menschen aus Afrika vor dem Elend in ihren Ländern fliehen wollen oder sich anders gegen die Ungerechtigkeit wehren. Da ist der politische Wille gefordert, das Problem in voller Schärfe zu erkennen. Und der lässt sich daran messen, was in den kommenden Wochen und Monaten bis zur Klimakonferenz in Kopenhagen passiert. Auf die Finanzkrise haben die EU und Deutschland ja auch sehr schnell reagiert und Hilfe bereitgestellt. Und ich frage mich schon, warum das nicht auch beim Thema Klimawandel möglich sein sollte.

KNA: Was erwarten Sie in diesem Zusammenhang von der EU und Deutschland?

Sayer: Dass sie nicht nur auf andere wie die USA und China zeigen, sondern sich an die Spitze setzen und für deutlichere Verpflichtungen einstehen und werben. Nach den jüngsten Angaben von Klimawissenschaftlern ist es etwa erforderlich, dass die Treibhausgas-Emissionen bis 2020 um 40 Prozent gesenkt werden.
Außerdem müssen die reichen Industriestaaten den ärmeren Ländern bei der Bewältigung von Folgen des Klimawandels helfen. Wir von Misereor erhalten beispielsweise von unseren Partnern immer mehr Hilfsanfragen, die sich auf Folgen des Klimawandels beziehen. Aber die ärmeren Länder dürfen nicht nur die Hand aufhalten, sondern sind auch selbst gefragt.

KNA: In welcher Form?

Sayer: Sich etwa klimagerecht zu entwickeln. Ein Mitglied unserer Delegation kommt zum Beispiel aus Indien und erzählte, dass dort 50 Prozent der Menschen ohne Strom lebten. Das ist eine riesige Chance. Nämlich, sich nicht nach dem westlichen, dem Klima schadenden Weg zu entwickeln, sondern umweltgerechtere, modernere Wege zu gehen und alternative Energien zu nutzen. Länder wie Deutschland, die auf dem Gebiet führend sind, sind dann wiederum gefragt, solchen Ländern bei der klimagerechten Entwicklung zu helfen.

KNA: Und was kann die Kirche tun?

Sayer: Zum einen haben wir als Kirche und kirchliches Hilfswerk ein weltweites Netz, das uns ermöglicht, Bewusstsein für das Problem des Klimawandels und die Auswirkungen auf die Menschen zu schaffen. Wir können deutlich machen, wie Einzelne unter den Entwicklungen leiden und einen moralisch-ethischen Anspruch formulieren. Deshalb sind Gespräche wie jetzt in New York auch sehr wichtig. Daneben müssen wir aber auch auf uns selbst schauen. Was können Kirchengemeinden und Gruppen tun, um klimagerecht zu leben? Trägt unser Lebenswandel zu einer besseren Entwicklung bei? Da sind wir als kirchliches Hilfswerk besonders gefragt; aber auch jeder Einzelne ist in der Pflicht.

Das Interview führte Caroline Schulke.