Misereor geht gegen Genitalverstümmelung in Afrika vor

"Die Folgen sind verheerend"

Ein Grund für die Praxis der weiblichen Genitalverstümmelung ist der Glaube, dass nur eine beschnittene Frau eine gute Ehefrau sei. Indem es solche Irrtümer aufdeckt, schafft das Hilfswerk Misereor ein Umdenken bei Befürwortern des Rituals. 

Ein rostiges Messer dient oft als Werkzeug für Beschneidungen / © Wolfgang Radtke (KNA)
Ein rostiges Messer dient oft als Werkzeug für Beschneidungen / © Wolfgang Radtke ( KNA )

DOMRADIO.DE: Warum hält sich die Praxis weiblicher Genitalverstümmelung?

Raoul Bagopha (Referent für Mali beim Hilfswerk Misereor​): Weil immer noch der Mythos kursiert, dass nicht beschnittene Frauen sexlüstern seien. Und gegen diesen Mythos gilt es vorzugehen.

DOMRADIO.DE: Gerade in arabischen Ländern ist die Beschneidung der Frau verbal erst einmal positiv besetzt. Es ist teilweise von Reinheit die Rede. Der Glaube, dass nur eine beschnittene Frau eine gute Ehefrau werden könne, ist weit verbreitet, richtig?

Bagopha: Das ist richtig. Das hat auch damit zu tun, dass es Menschen gibt, die mit Hygiene argumentieren. Andere meinen, dadurch einen gewissen Anstand fördern zu können. Aber im Kern gilt es, sich nicht auf die Gründe für diese Praxis einzulassen. Die Folgen sollten im Mittelpunkt der Diskussion stehen und mit diesen Folgen wollen wir und unsere Partner uns auseinandersetzen.

DOMRADIO.DE: Sie sagen bei Misereor, dass Mali beim Thema Beschneidung ein Beispielland sei. Warum?

Bagopha: Weil wir in Mali eine interessante Dynamik haben. Wir stellen fest, dass sich hier immer mehr Menschen mit dieser Frage auseinandersetzen. Es wird offen darüber diskutiert. Das heißt, wir haben hier ein Thema, das nicht mehr tabuisiert ist. Das ist Punkt Nummer eins.

Punkt Nummer zwei: Immer mehr Menschen beteiligen sich an der Diskussion und an der Aufklärung. Das sind nicht nur Frauen. Es sind Männer, Würdenträger, Menschen aus verschiedenen Volksgruppen. Wir stellen zunehmend fest, dass diejenigen, die diese Praxis zu verbreiten versuchen, in Erklärungsnot geraten, weil sie öffentlich verpönt ist. Das erkennt man an den Gesetzen, die in diesem Land verabschiedet wurden.

DOMRADIO.DE: Welche Maßnahmen kann das Hilfswerk vor Ort oder in anderen Ländern, in denen es noch nicht so beispielhaft vorgeht, ergreifen, um diese Praxis gegen Frauen zu unterbinden?

Bagopha: Die wichtigste Maßnahme ist über die Folgen der weiblichen Beschneidung aufzuklären. Die Folgen sind verheerend. Es sind körperliche und psychische Schmerzen. Wenn man das in den Mittelpunkt der Diskussion stellt, dann stellt man fest, dass auch die Verfechter der weiblichen Beschneidung beginnen, darüber nachzudenken. Es ist wichtig die Präventionsarbeit voranzutreiben. Nur durch Prävention und dem Umgang mit den Folgen der weiblichen Beschneidung kann man diese Praxis zurückdrängen.

DOMRADIO.DE: Oft wird die Beschneidung durch Frauen durchgeführt. Das klingt ein bisschen widersinnig. Warum verletzen Frauen andere Frauen und Mädchen?

Bagopha: Das ist eine Frage, die wir uns immer wieder gestellt haben. Wir haben mit vielen Beschneiderinnen in Mali sprechen können und festgestellt, dass die Frauen, die noch beschneiden, immer wieder zwei Gründe anführen: Erstens sagen sie: Das ist unser Beruf. Das ist, was wir gelernt haben. Meistens sind das in Mali Frauen aus der Familie der Schmieder. Das ist für sie ein Broterwerb.

Zweitens gibt es Frauen, die nicht nur auf das Einkommen schauen, sondern auch auf ihr Ansehen und ihren Einfluss in der Gesellschaft. Sie definieren sich über dieses "Handwerk" des Beschneidens. Wir haben aber auch die Erfahrung gemacht, dass es ehemalige Beschneiderinnen gibt, die angefangen haben sich mit den Konsequenzen, den Folgen dieses "Handwerks" auseinanderzusetzen. Die ehemaligen Beschneiderinnen sind oft Frauen, die es geschafft haben ihr Ansehen, ihr Einkommen und ihren Einfluss in der Gesellschaft von dieser Praxis abzukoppeln. Und das heißt, dass man Frauen, die noch beschneiden, dazu befähigt, anderen einkommensschaffenden Aktivitäten nachzugehen.

Wenn das gelingt - und das sehen wir auch zunehmend in Mali - werden sie sich anders orientieren. So wie die ehemaligen Beschneiderinnen, die im Moment auch mit unseren Partnerorganisationen arbeiten und jede Gelegenheit nutzen, um sie für die Folgen der Beschneidung zu sensibilisieren.

DOMRADIO.DE: Das heißt, Sie werden umgeschult, damit sie weiterhin einen Job haben. Jetzt haben wir besonders über Mali gesprochen. Sehen Sie auch in Deutschland ein Problem? Werden auch hierzulande Beschneidungen durchgeführt?

Bagopha: Ich gehe davon aus, dass die Beschneidungen noch durchgeführt werden. Aber interessant ist, dass dies nicht mehr öffentlich gemacht wird. Und wenn es nicht öffentlich gemacht wird, dann ist da schon ein Bewusstsein dafür, dass das nichts ist, wofür man Lob erwarten sollte. Ich glaube, dass es wichtig ist, das Thema so anzugehen, dass diejenigen, die es insgeheim machen, merken, dass überall darüber gesprochen wird.

Die, die bedroht sind, haben Anlaufstellen, Ansprechpersonen und ein paar mitfühlende Mitmenschen, die in der Lage wären, sie vor dieser Praxis zu schützen. Ja, ich gehe davon aus, dass wir diese Praxis haben - nicht nur in Afrika, auch in Deutschland und in anderen Industrieländern. Aber wichtig ist im Moment, dass wir zum Glück Menschen haben, die damit nicht mehr in die Öffentlichkeit gehen und meinen, dass diese Praxis verbreitet gehört. Hoffentlich kommen die, die das noch praktizieren, zu der Schlussfolgerung: Dieses Versteckspiel ergibt keinen Sinn. Und dann aufgeben.

Das Interview führte Dagmar Peters.


Quelle:
DR