Misereor-Bischof Thissen über Klimawandel und Hungerkatastrophe

Eigene Gewohnheiten auf den Prüfstand stellen

Die verheerenden Folgen des Klimawandels stehen im Mittelpunkt der diesjährigen Misereor-Fastenaktion. Sie steht unter dem Motto "Gottes Schöpfung bewahren, damit alle leben können" und wird am Sonntag in Stuttgart eröffnet. Der Hamburger Erzbischof Werner Thissen, Misereor-Beauftragter der Deutschen Bischofskonferenz, erklärt im Interview der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA) am Dienstag in Hamburg, wie der Lebensstil des Nordens mit entscheidet über die Armut im Süden.

 (DR)

KNA: Herr Erzbischof, was bedeutet für Sie das Motto der diesjährigen Misereor-Fastenaktion?
Thissen: Gott hat uns seine Schöpfung anvertraut, also müssen wir verantwortlich damit umgehen. Aber die Länder des Nordens tun das zu wenig. Unser Lebensstil ist von Überfluss geprägt, während im Süden Menschen unter den Folgen unserer Lebensführung leiden. Wenn wir die Schöpfung bewahren wollen, müssen wir unser Leben ändern, auch beim Klimaschutz.

KNA: Worum geht es Ihnen besonders?
Thissen: Der Norden und die wohlhabenden Schichten in den Staaten des Südens können sich gegen den Klimawandel weit besser schützen als die Armen. Wenn etwa Ernten verdorren oder von den Feldern weggespült werden und Lebensmittelpreise steigen. Das ist ungerecht, davor dürfen wir nicht die Augen verschließen. Wenn zu den ohnehin schwierigen Lebensbedingungen der Armen noch Stürme oder Starkregen oder Dürren oder Überflutungen kommen, geht es ums nackte Überleben.

KNA: Was hat unsere Ernährung mit dem Hunger im Süden zu tun?
Thissen: Die Folgen des Klimawandels führen im Süden zu einer Vernachlässigung des ländlichen Raumes und einer Verstädterung.

Zugleich bewirkt unser Energiehunger im Norden einen Anstieg des Ölpreises und Knappheit von Energierohstoffen. So werden immer mehr landwirtschaftliche Flächen und Agrarprodukte wie Zuckerrohr, Soja, Palmöl oder Mais zur Herstellung von Biokraftstoffen genutzt.

Dadurch steigen wieder die Nahrungsmittelpreise, wiederum mit fatalen Folgen für die Armen. Denken Sie an die Hungerrevolten letztes Jahr auf Haiti: Da sieht man die Zusammenhänge.

KNA: Was tut Misereor konkret gegen diese Probleme?
Thissen: Ein wichtiger Punkt für Misereor ist der Einsatz für die Förderung kleinbäuerlicher nachhaltiger Landwirtschaft. Da können Menschen auf relativ kleinen Flächen mit relativ geringen Investitionen krisensicher und zugleich umweltverträglich Lebensmittel produzieren. Für sie bedeutet das Ernährungssicherheit.
Natürlich muss es auch Großprojekte wie Deichbauten, Staudämme oder Bewässerungsanlagen geben. Auch da fördert Misereor Projekte zur Landsicherung, etwa in Indonesien.

KNA: Wie haben Sie vor Ort Probleme und Lösungsansätze erlebt?
Thissen: Auf den Philippinen zum Beispiel, einem riesigen Inselreich mit langen Küsten und sehr viel Armut, habe ich ein Projekt zur Wiederaufforstung der Mangrovenwälder am Wasser gesehen. Das bedeutet zugleich Küstenschutz, denn dadurch, dass dort am Ufer die Mangroven wachsen, wird die Küste befestigt. Überschwemmungen werden weniger furchtbar. Zugleich sind die Wurzeln der Mangroven im Wasser sozusagen die «Kinderstube der Fische», die dort laichen. Damit sorgt das Projekt auch dafür, dass Menschen etwas zu essen haben.

Dass da mit kleinen Schritten große Wirkungen erzielt werden, macht deutlich, wie wichtig die Arbeit von Misereor ist.

KNA: Wo müssen wir im Norden unsere Gewohnheiten überdenken?
Thissen: Ich stelle mir selbst die Frage, muss ich tatsächlich jede Strecke mit dem Auto zurücklegen statt mit Fahrrad oder Bus und Bahn? Oder wie kann ich zu Hause Energie sparen? In einem durchschnittlichen Mehrfamilienhaus verbraucht man bei einem ressourcenschonenden Energie-Umgang fast nur halb so viel, als wenn ich einfach gar nicht drauf achte. Oder: Muss ich jeden Tag Fleisch essen, wo ich weiß, dass die Fleischproduktion besonders viel Energie kostet? Gerade die Fastenzeit eignet sich dazu, die eigenen Gewohnheiten auf den Prüfstand zu stellen.

KNA: Welche Schritte wünschen Sie sich von der Politik?
Thissen: Wir müssen dafür sorgen, dass der Kohlendioxidausstoß verringert wird. Zum einen bei der Nutzung der erzeugten Energie, vor allem bei der Mobilität. Da ist ein heikles Thema die Atomenergie. Die Urangewinnung ist mit hohem Energieverbrauch verbunden. Auch wenn bei der Energieerzeugung in Atomkraftwerken dann kein weiteres Kohlendioxid entsteht, birgt die Atomenergie doch andere hohe Risiken. Es führt also kein Weg daran vorbei, dass wir unseren Energieverbrauch drastisch senken müssen. Dafür muss die Politik die Rahmenbedingungen vorgeben.

KNA: Und auf internationaler Ebene?
Thissen: Da ist der Welthandel ein wichtiger Bereich. Es ist ein Skandal, dass Europa und Nordamerika immer noch die Märkte gegenüber Agrareinfuhren aus den Ländern des Südens abschotten. Dazu kommen die hohen Agrarsubventionen für Exporte aus dem Norden, die die Landwirtschaft in vielen Ländern des Südens kaputt oder zumindest unrentabel machen. Mit den 40 Milliarden Euro im Jahr, mit denen die Europäische Union die Landwirtschaft hier subventioniert, ließen sich viele zukunftsweisende Projekte in den Ländern des Südens verwirklichen.

KNA: Wie kann jeder Einzelne das Thema aufgreifen?
Thissen: Familien sollten beim Kochen zum Beispiel auf regionale Produkte zurückgreifen. Muss ich wirklich Obst essen, das 10.000 Kilometer per Schiff und LKW unterwegs war, oder gibt es nicht auch gutes Obst auf dem nächsten Bauernhof oder Wochenmarkt? Auch die Kirchen haben etwa beim Energieverbrauch in ihren Immobilien eine Vorbildfunktion. Misereor hat in seiner relativ kleinen Geschäftsstelle viel getan: Umwelt-Papier im Drucker, weniger Energieverbrauch und jetzt eine Solaranlage auf dem Dach. All das sind kleine, wichtige Schritte auf einem langen Weg.

KNA: Wie lautet Ihre Prognose für das Spendenergebnis 2009?
Thissen: Ich wette, dass die Menschen 2009 für Misereor im Kampf gegen Armut und Hunger noch mehr spenden als 2008! Wenn ich verliere, halte ich in einer Schule eine Religionsstunde und stelle die Arbeit von Misereor vor.

KNA: Ihr Tipp?
Thissen: Ich werde gewinnen! Denn gerade jetzt, wo es bei uns nicht mehr so aufwärtsgeht mit der Wirtschaft, werden die Leute sensibler für das Leid und die Armut bei den Menschen im Süden.