Ministerin Schavan zum Verhältnis von CDU und Kirche

"Wer sich treu bleiben will, muss sich ändern"

Die stellvertretende CDU-Vorsitzende Annette Schavan hat die ökumenische Prägung der CDU betont. Katholische Bischöfe sollten nicht nur Defizite hervorheben, sondern auch Positives ansprechen, sagte die Bundesbildungsministerin am Dienstag in einem Interview der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA) in Berlin.

 (DR)

KNA: Frau Schavan, am Donnerstag sind Erzbischof Zollitsch und Bischöfin Käßmann zu Gast bei der Klausurtagung der CDU-Spitze. Wie lebendig, wie kontrovers wird dieser Meinungsaustausch?
Schavan: Wir freuen uns auf das Gespräch. Und wir sind davon überzeugt, dass es uns gute Impulse für die Weiterentwicklung der CDU geben wird. Es wird sicher ein lebendiges Gespräch.

KNA: Aber gerade auf katholischer Seite schwelt seit Monaten Unzufriedenheit. Zuletzt hat sich Erzbischof Marx in dieser Woche im «Spiegel» kritisch geäußert.

Schavan: Ich nehme kritische Anfragen von Bischöfen immer ernst. Es gehört zur Tradition der CDU seit ihrem Bestehen, sich ernsthaft mit den Erwartungen der Kirchen zu beschäftigen und sich auch den Spiegel vorzuhalten.

KNA: Erzbischof Marx bemängelt, das CDU-Grundsatzprogramm spreche allgemein von «christlichen Werten». Das sei zu wolkig.
Schavan: Erzbischof Marx sagt, Jesus Christus müsse im Grundsatzprogramm genannt werden. Das finde ich nicht. Das wäre eine unzulässige Vereinnahmung. In den Weihnachtsferien habe ich bei Franz Kamphaus den Satz gelesen, «Jesus wollte keine Fans, sondern Nachfolger». Das heißt: Die Ausstrahlungskraft einer Partei im Blick auf ihr christliches Fundament lebt von der Glaubwürdigkeit ihrer Mitglieder und natürlich kann auch die CDU nicht die Lehre der katholischen Kirche politisch eins zu eins umzusetzen.

KNA: Also doch Defizite.
Schavan: Das zweite Vatikanum spricht von der Autonomie der Sachbereiche. Es wäre schön, mancher Bischof würde auch einmal Positives hervorheben. Nehmen Sie nur ein Thema aus der Forschung: Wir haben bei der Stammzellforschung im internationalen Vergleich das strengste Embryonenschutzgesetz. Und Deutschland ist Vorreiter bei jener Stammzellforschung, die zum Beispiel durch Reprogrammierung somatischer Körperzellen Alternativen zur Arbeit mit embryonalen menschlichen Zellen auf den Weg gebracht hat. Die Beispiele ließen sich in anderen Ressorts fortsetzen.

KNA: Worin sehen Sie denn Gründe für das anhaltende Rumoren?
Schavan: Für die CDU gilt das gleiche wie für die gesamte Gesellschaft in Deutschland. Sie ist vielfältiger geworden. Ich stamme aus dem katholischen Rheinland und kenne dieses prägende Milieu sehr gut. Wer Volkspartei bleiben will, muss aber bereit sein, andere Milieus zu akzeptieren und dort ebenso präsent zu sein. Dem müssen wir uns alle stellen. Im übrigen: Es wirkt doch eigentümlich, wenn wir protestantische Milieus für eine C-Partei als irgendwie fremd betrachten.

KNA: Also sollte man die ökumenische Prägung wieder bewusster sehen?
Schavan: Interessanterweise war die Gründung der CDU vor über 60 Jahren ein großes ökumenisches Projekt. Katholische und evangelische Christen haben sich zusammengeschlossen, um zu zeigen, dass das Christentum - nicht der Katholizismus oder der Protestantismus - eine starke geistige Kraft gegen alles Totalitäre ist. Und es bleibt aus diesen ökumenischen Wurzeln heraus unsere Aufgabe, die Bedeutung christlicher Werte für eine moderne plurale Gesellschaft immer wieder deutlich zu machen.

KNA: Gelegentlich wird die wachsende Distanz auch an Personen
festgemacht: Die CDU-Vorsitzende und Bundeskanzlerin ist evangelisch, der Generalsekretär der Partei wie auch sein Vorgänger, auch der für Kirchenfragen wichtige Innenminister.
Schavan: Die vier Stellvertreter von Angela Merkel sind katholisch, auch der Bundestagspräsident. Wir brauchen uns als Katholiken also überhaupt nicht zu beklagen. Beide Konfessionen haben ihre Heimat ganz besonders in der CDU.

KNA: Mitte November gründeten einige Katholiken im Unionslager einen «Arbeitskreis engagierter Katholiken». Ein richtiger Schritt?
Schavan: Dieser Arbeitskreis erweckt ein bisschen den Eindruck, als wären Katholiken in der CDU benachteiligt. Diese Meinung teile ich nicht und bin für mehr Selbstbewusstsein der Katholiken. Ich bin persönlich für jedes Gespräch aufgeschlossen. Vor allem darüber, wie angesichts konkreter Themen die Mitglieder dieses Arbeitskreises tatsächlich Impulse in die politische Arbeit einbringen können.

KNA: Im Zuge der anstehenden Debatte um finanzielle Einschnitte fürchten manche Beobachter konkret, dass der Einfluss des kirchlich geprägten Arbeitnehmerflügels in der Union geschwunden sei.
Schavan: Die katholische Soziallehre ist für unsere Arbeit heute so bedeutsam wie zu Zeiten der Parteigründung. Dazu gehört die Überzeugung, dass wir eben keine reine Wirtschaftspartei sind. Wir verbinden vielmehr soziale Gerechtigkeit und Wirtschaftskompetenz und nehmen das Subsidiaritätsprinzip ernst. Und in der oft kritisierten Familienpolitik haben wir eine Politik ermöglicht, die der Familie dient. Für die CDU gilt der Satz: Wer sich selbst treu bleiben will, muss sich verändern. Das gilt im übrigen in gleicher Weise für die Kirche, die ja in einem ständigen Entwicklungsprozess ist. Denn sie weiß, dass die Kraft der christlichen Botschaft längst noch nicht ausgeschöpft ist.

Das Interview führte Christoph Strack.