Minister de Maiziere zur anstehenden Islamkonferenz

"Auch am Küchentisch diskutieren"

Bundesinnenminister Thomas de Maiziere strebt in den kommenden Jahren möglichst bundesweite Modellprojekte zu islamischem Religionsunterricht an. Gut zwei Wochen vor dem Start der zweiten Phase der Deutschen Islamkonferenz betont de Maiziere im Interview die praktische Ausrichtung der Arbeit.

 (DR)

KNA: Herr Minister, seit Anfang März gibt es Streit über die Beteiligung der muslimischen Verbände an der Islamkonferenz. Ist dieses Tauziehen mehr als ein Ritual?

De Maiziere: Zunächst bin ich froh, dass die Gespräche wohl zu dem Ergebnis führen, dass die Zusammensetzung steht, dass alle gerne mitarbeiten und dass wir bei der ersten Plenarsitzung am 17. Mai bereits ein einvernehmliches Arbeitsprogramm haben werden. Darum ging es beim Streit um die Zusammensetzung eben auch.

KNA: Das heißt: Alle fünf Verbände, die Sie zunächst eingeladen hatten, werden dabei sein, auch der Zentralrat der Muslime - und eventuell noch weitere Verbände?

De Maiziere: Ich hatte ja dem Islamrat gesagt: Solange die erheblichen strafrechtlichen Ermittlungen gegen Milli Görüs laufen, kann ich mich mit Vertretern der IGMG oder des Islamrats nicht an einen Tisch setzen. Das hat zunächst zu Solidarisierungen geführt.

Dann haben aber vier Verbände gesagt, dass sie unabhängig davon bereit sind mitzumachen. Der Zentralrat der Muslime überlegt noch. Und da auf staatlicher Seite Länder und Kommunen im Vergleich zur ersten Phase der Konferenz stärker vertreten sind und wir zudem zehn muslimische Einzelpersönlichkeiten haben, habe ich die Zahl der Vertreter von islamischen Organisationen erhöht. So können noch zwei weitere islamische Organisationen hinzukommen, deren Benennung noch vor der kommenden Plenarsitzung erfolgen kann.

KNA: Aber seit März diskutierten vor allem Verbandsvertreter.
De Maiziere: Wir haben in der laufenden Vorbereitungsphase, in der das künftige Arbeitsprogramm der Islamkonferenz gemeinsam erarbeitet wird, konstruktive und gute Diskussionen, mit dem Unterschied, dass sie nicht über die Medien geführt worden sind. Wenn Sie jedoch die Debatte über die Zusammensetzung meinen, diese Diskussionen führen wir eigentlich für die gesamte Gesellschaft: über das Verhältnis der christlich geprägten Aufnahmegesellschaft zum Islam in seiner ganzen Vielfalt. Die überwiegende Mehrheit der Muslime in Deutschland fühlt sich von den bestehenden Verbänden nicht vertreten. Deshalb ist dieses «Mobile», so will ich es mal nennen, zwischen Verbandsvertretern und Einzelpersönlichkeiten so wichtig. Sie stehen für je eigene Denkrichtungen. Alle sollten vertreten sein.

KNA: Sie sagten eben, dass die ganze Gesellschaft die Diskussion führen müsse. Eine Studie zeigte dieser Tage ein ernüchterndes Bild: Das Thema erreicht nicht einmal in der Zuwanderungsgesellschaft die Breite der Leute.
De Maiziere: Diese Studie sagt, dass 43 Prozent der muslimischen Zuwanderer die Islamkonferenz nicht kennen. Aber man kann doch auch sagen: Mehr als 50 Prozent kennen die Deutsche Islamkonferenz. Das ist ein hoher Wert. Welche Institution, zumal Dialogforum, ist denn überhaupt so bekannt! Das Thema wurde doch lange Jahre verdrängt.
Erst seit fünf, sechs Jahren diskutieren wir offen darüber. Das ist das Verdienst der ersten Phase der Islamkonferenz. Es stimmt natürlich auch, dass die Islamkonferenz bislang vor allem eine Eliten- und Vertreterdiskussion war. Die zweite Phase der Islamkonferenz wird eine Art Brücke: Wir wollen die Idee tiefer in der Gesellschaft verankern.

KNA: Weg aus den Feuilletons?
De Maiziere: Am besten wäre, wenn wir vom Feuilleton an die Küchentische unserer Gesellschaft kommen, wo die wirklichen Diskussionen stattfinden. Aus der ersten Phase der DIK gibt es Empfehlungen zur Integration in der Schule. Wenn Eltern vom Elternabend kommen, wenn Kinder vom Schwimmunterricht berichten oder von der Klassenfahrt zurückkommen, wo diese Empfehlungen praktisch gelebt werden sollten, dann wird das am Küchentisch diskutiert. Und das ist wahrscheinlich wichtiger als die große offizielle Runde. Zu dieser Diskussion am Küchentisch möchte ich kräftig beitragen.

KNA: Sie haben bei den praktischen Zielsetzungen drei Themenblöcke genannt: Zunächst den Themenkreis Religionsunterricht und Imam-Ausbildung. Dann die Frage der Grundwerte und vor allem der Geschlechtergerechtigkeit. Schließlich die Abgrenzung eines aufgeklärten Islam in einer Demokratie von religiösem Extremismus oder Islamismus. Wie konkret wollen Sie beim Thema Religionsunterricht werden.
De Maiziere: So praktisch wie nur irgend möglich.

KNA: Dazu zählt der Religionsunterricht ohne die Anerkennung als Körperschaft des öffentlichen Rechts?

De Maiziere: Wir sollten versuchen, bei diesem Thema die Begrifflichkeiten sauber zu trennen. Die Anerkennung als Körperschaft des öffentlichen Rechts ist nicht Voraussetzung für die Einrichtung von Religionsunterricht. Voraussetzung ist, dass die Organisationen, die zum Beispiel bei der Einführung von islamischem Religionsunterricht mit den jeweiligen Ländern kooperieren möchten, Religionsgemeinschaften im Sinne des Grundgesetzes sind. Ohne die Mitwirkung von Religionsgemeinschaften wäre es kein bekenntnisorientierter Religionsunterricht im Sinne von Artikel 7 des Grundgesetzes, sondern Islamkunde.

KNA: Ist vielleicht der Status der Religionsgemeinschaft angesichts der Verfasstheit der Muslime die falsche Kategorie?

De Maiziere: Den Status der Religionsgemeinschaft werden wir sicher auch weiterhin diskutieren. Das wollen die Verbände auch. Aber über diese Frage haben die Länder zu entscheiden. Auch sollten wir vermeiden, die Debatten der ersten Phase der Islamkonferenz zu wiederholen.

KNA: Was heißt das nun mit Blick auf den Religionsunterricht?

De Maiziere: Wie gesagt: Ich möchte das so praktisch wie möglich angehen. So sollten wir erst einmal die praktischen Erfahrungen mit islamischem Religionsunterricht bündeln. Und da gibt es erstaunlich viele Konzepte und Modellprojekte.

KNA: Aber nach Ländern unterschieden oder auch gegensätzlich.

De Maiziere: Mag sein. Aber auch der christliche Religionsunterricht ist in der Praxis durchaus unterschiedlich zwischen einem katholischen Dorf im Bayerischen Wald und einem Hamburger Stadtteil mit einem Migranten-Anteil von 60 Prozent. Analog gilt für den Islamunterricht: Ich möchte die bestehenden Projekte analysieren, den Erfahrungsaustausch zwischen den Ländern hierüber ausbauen. Ob das im Ergebnis z.B. zu bundesweiten Modellprojekten führen kann, werden wir sehen. Die Erfahrungen aus den Ländern zeigen doch, dass man auch ein Curriculum besprechen kann, ohne dass die Frage der Religionsgemeinschaft abschließend geklärt ist. Man kann auch die Frage der Voraussetzungen für Religionslehrer angehen und sich anschließend der Frage einer Lehrerlaubnis zuwenden.

KNA: Im Januar hatte der Wissenschaftsrat einen umfassenden Ausbau der Imam-Ausbildung und der Islam-Institute an deutschen Universitäten empfohlen. Ist das realistisch?
De Maiziere: Die Empfehlung des Wissenschaftsrats ist sehr gut. Sie sollte bald umgesetzt werden. Ich habe den Vorsitzenden des Rats, Professor Strohschneider, zur ersten Plenarsitzung der Islamkonferenz eingeladen, er wird dort das Konzept vorstellen. In der Konferenz können wir das dann mit viel praktischer Erfahrung spiegeln. Wir werden mit den Ländern diskutieren, wo diese Institute verortet sein sollten - als Teil einer Theologischen Fakultät oder als eigener Bereich. Das kann, finde ich, auch nach Universitäten unterschiedlich sein. Und es stellt sich die spannende Frage, wie sich das Verhältnis der Imame, die in Deutschland ausgebildet werden, zu denen bestimmt, die etwa in der Türkei ausgebildet werden? Sind die gleichberechtigt? Gibt es Anerkennungsverfahren?
Und je praktischer wir zu Ergebnissen kommen, umso besser.

KNA: Wie sehr sind Sie angewiesen auf die Kooperation der Länder?

De Maiziere: Absolut. Aber das fasse ich weiter. Denn wir sind bei diesem Projekt alle aufeinander angewiesen. Nicht nur der Bund auf die Kooperation mit den Ländern und Kommunen und umgekehrt. Aber «angewiesen» muss nicht nach «abhängig» klingen. Angewiesen heißt ja auch, wechselseitig aufeinander verwiesen zu sein. Die Hauptarbeit hat sowieso nicht der Staat, sondern die Zivilgesellschaft zu leisten.

Interview: Christoph Strack