Wie geht Seelsorge auf einem Kreuzfahrtschiff?

"Mich zu sonnen passt nicht zu meiner Aufgabe"

Ihre Arbeit beginnt dort, wo sie bei anderen aufhört: an der Gangway. Katharina Plehn-Martins heuert regelmäßig auf einem Kreuzfahrtschiff an, um für Reisende ansprechbar zu sein. Wie ist das Leben als Seelsorgerin auf hoher See?

Ein Kreuzfahrtschiff / © Bernd Wüstneck (dpa)
Ein Kreuzfahrtschiff / © Bernd Wüstneck ( dpa )

DOMRADIO.DE: Mit welchen Anliegen kommen die Menschen auf hoher See zu Ihnen?

Katharina Plehn-Martins (pensionierte Pfarrerin und Seelsorgerin auf einem Kreuzfahrtschiff): Gute Frage. Zu mir kommt erst mal niemand, wirklich! Es ist auf einem Urlaubsschiff nicht so, dass ich da als Pfarrerin da sitze und zu bestimmten Zeiten Sprechstunden anbiete und die Gäste dann so ein Angebot nutzen. Es ist eher so, dass es Situationen gibt, aus denen heraus sich seelsorgerische Gespräche entwickeln. Und das hat mit meiner Bekanntheit und Präsenz an Bord zu tun. Das heißt im Laufe des Tages am Pool, abends in der Bar oder bei Landausflügen. Eine Seelsorgerin, die in einer Kabine hockt und darauf wartet, dass jemand kommt, nützt niemandem.

DOMRADIO.DE: Wie sind Sie dann als Seelsorgerin erkennbar?

Plehn-Martins: Zum einen habe ich eine Brosche mit meinem Namen und meiner Funktion. Man nennt mich Bordgeistliche, weil ich nicht nur Seelsorge mache, sondern auch Gottesdienste und Andachten halte und Landausflüge begleite. Ich bin also per goldener Brosche erkennbar. Aber ich werde auch am ersten Abend vom Kapitän vorgestellt. Dann stehe ich auf, es gibt ein Spotlight und ich lächle vorsichtig in die Runde. Und alle Anwesenden wissen: Aha, das ist die Bordgeistliche.

Es gibt zudem jeden Tag ein Tagesprogramm. Darin ist ein Foto von mir abgebildet, es wird mein Gottesdienst, meine Andacht angekündigt und man kann meinen Namen lesen. Das heißt, ich bin innerhalb von zwei Tagen bekannt wie ein bunter Hund auf dem Schiff.

DOMRADIO.DE: Sie fallen an Bord unter die Abteilung "Unterhaltung", also so wie Musiker, Tänzer und Yoga-Lehrer. Ist das nicht ein bisschen seltsam?

Plehn-Martins: Beim ersten Mal fand ich das auch seltsam. Inzwischen finde ich das gar nicht mehr komisch. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass diese Zuordnung völlig richtig und sehr gut ist. Irgendwie muss ich als Pfarrerin ja organisatorisch eingebunden sein. Und ich finde den unmittelbaren Kontakt zu den Künstlern sehr bereichernd und sehr hilfreich für meine Arbeit - das fängt am ersten Abend an, bei der ersten Besprechung mit allen Künstlern.

Ich habe auf allen Reisen immer sehr rasch Musiker oder Musikerinnen gefunden, die morgens meine Andachten und Gottesdienste musikalisch begleitet haben. Und ich habe mich auch durchaus mal auf einer Tour mit einem Galeristen angefreundet, dann haben wir so ein Joint Venture gemacht: Der ist morgens in meine Gottesdienste gekommen und nachmittags habe ich in seiner Galerie Vorträge gehalten, so dass immer mehr Leute in seine Galerie kamen. Das hat super geklappt.

Ich war auch einmal mit einer Bordpianistin unterwegs, einer sympathischen Frau aus der Slowakei. Die hat meine Gottesdienste wunderbar am Flügel begleitet und sie sang auch gerne. Dann habe ich sie mal gebeten morgens "Amazing Grace" zu singen und die Leute sind dahin geflossen. Diese Zuordnung ist eigentlich wunderbar.

DOMRADIO.DE: Wie intensiv werden die Gespräche mit den Passagieren an Bord - wird das auch mal wirklich tiefgehend und ernst?

Plehn-Martins: Das ist sehr, sehr unterschiedlich. Ich biete vordergründig keine seelsorgerlichen Gespräche an, da würde kein Mensch kommen. Aber in dem Maße, in dem sich zwischen mir und einzelnen Menschen ein Vertrauen aufbaut - und das geht in der Begrenztheit dieses Schiffes schnell, weil man sich oft über den Weg läuft - hat man nach drei Tagen das Gefühl, man kennt sich. Da kommt ganz schnell Vertrauen auf. Wenn man dann erst mal miteinander ins Gespräch gekommen ist, dann geht das ratzfatz, dass Leute sich öffnen. Ich glaube, ein Element ist dabei auch, dass man fern von Zuhause ist. Man weiß, man wird mich nicht wiedersehen und mir begegnen. Und das öffnet. Das ist sehr, sehr hilfreich.

Und auch in der Begrenztheit der Zeit kommt sehr viel zutage. Ich habe mir diese Redeweise angewöhnt: "Es gehen viele Sorgen in einen Koffer. Es geht viel Traurigkeit in einen Koffer und Traurigkeit und Sorgen lässt man nicht an Land zurück. Die begleiten einen." Eine vertrauensvolle Situation erleichtert es den Menschen, einfach mal ihre Sachen zu sagen. Zum Beispiel: Man steht an der Reling, guckt aufs offene Meer, es gesellt sich jemand zu einem und auf einmal ist man mittendrin in einem tiefgehenden Gespräch. Das habe ich oft erlebt. Es ist nicht so, dass die Leute immer happy und glücklich sind, auf einem solchen Schiff zu sein. Sie sind vielleicht auch mal traurig, weil sie eine nahe Person verloren haben; weil sie die Schönheit der Natur, des Meeres und der Reise nicht mehr teilen können. Und dann ist es gut, dass so jemand wie ich dabei bin.

DOMRADIO.DE: Ist es denn trotzdem auch Urlaub für Sie oder eigentlich nur Arbeit vor angenehmer Kulisse?

Plehn-Martins: Nein, Urlaub ist es überhaupt nicht. Das denken die Leute immer: Oh, die hat's gut und die kann so tolle Reisen machen. Aber es ist wirklich kein bisschen Urlaub, sondern ich bin in dem Moment, wo ich die Gangway hochgehe, im Dienst und immer im Standby-Modus. Es ist erst dann wieder Urlaub, wenn ich in der Kajüte schlafe. Ich habe ja nicht nur die Aufgabe, mit Menschen zu reden und seelsorgerisch tätig zu sein, wenn es gewünscht und gebraucht wird. Ich habe auch Gottesdienste und Andachten zu halten. Ich bin einfach eine öffentliche Person und repräsentiere Kirche auf dem Schiff. Ich würde mich auch nie in einen Liegestuhl legen, mich sonnen oder in den Swimmingpool gehen. Das passt dort nicht zu meiner Rolle. Ich habe da wirklich eine Aufgabe.

Da kann man sich natürlich fragen: Warum macht diese Frau das ehrenamtlich und ohne Bezahlung? Es gibt verschiedene Punkte, die für mich ganz wichtig sind. Ertens, ich bin Pfarrerin und kann im Ruhestand partiell in meinem Beruf weiterarbeiten, ohne dass ich immer arbeiten muss. Zweitens, ich komme an Orte in der Welt, die ich sonst nie kennenlernen würde. Ich habe so viel gesehen - das ist ganz toll und ein großer Gewinn. Drittens, ich komme mit anderen Menschen ins Gespräch - mit Gästen oder Künstlern - die ich sonst nicht kennenlernen würde. Und das ist mein Reichtum auf diesen Reisen

Katharina Plehn-Martins hat über ihre Erfahrungen an Bord ein Buch geschrieben: "Segen auf See - mit einer Seelsorgerin auf Kreuzfahrt", Patmos Verlag, 14 Euro.

Das Gespräch führte Martin Mölder.


Quelle:
DR