Merkel sieht Zeit für neue Gesetzesinitiativen noch nicht gekommen

Debatte um Verjährung bei Missbrauch

Der Runde Tisch kommt, die Debatte um Verjährung bei sexuellem Missbrauch bleibt: Sie abzuschaffen, lehnte die Bundesjustizministerin erneut ab und attackierte gleichzeitig wieder die Kirche. Auch Bundeskanzlerin Merkel sieht die Zeit für neue Gesetzesinitiativen noch nicht gekommen.

 (DR)

Vor einem Eingreifen der Regierung sei eine "breite und intensive Diskussion nötig", sagte Regierungssprecher Ulrich Wilhelm am Montag (08.03.2010) in Berlin. Zunächst sollten Experten in den zuständigen Ministerien über ein geeignetes Vorgehen beraten. Wilhelm betonte, dass Kindesmissbrauch nicht nur ein Thema von Internaten oder Schulen sei. Es gehe ganz generell um die Frage, wie der Staat Missbrauch früher erkennen und verhindern könne, "wo auch immer Missbrauch passiert".

Mit Blick auf die Verjährungsdiskussion sagte Wilhelm, eine Verlängerung der Fristen könne sich nur auf die Zukunft richten. Bei Fällen aus der Vergangenheit gehe es um Aufklärung und Aufarbeitung. Das Thema sei rechtspolitisch anspruchsvoll und verlange eine sorgfältige Abwägung.

Horst Seehofer betonte sprach sich für eine Verlängerung der Frist aus. Man müsse nicht nur über die Aufklärung und die Bestrafung solcher Fälle, sondern auch "über die rechtlichen Grundlagen nachdenken". Seehofer fügte hinzu: "Dies sollte man in der gebotenen Sorgfalt tun."

Leutheusser-Schnarrenberger: Katholische Schweigemauer
Nach vierzig oder fünfzig Jahren sei es sehr schwierig, noch Sachverhalte zu ermitteln und Zeugen zu finden, sagte Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) im Deutschlandfunk.

Die FDP-Politikerin verwies darauf, dass Missbrauchsfälle nach geltendem Recht noch bis zu zwanzig Jahre nach der Volljährigkeit des Opfers verfolgt werden können. Sie kritisierte, es gebe, insbesondere bei katholischen Schulen, eine Schweigemauer, die Missbrauch und Misshandlungen verdeckt habe. Verantwortlich dafür sei auch eine Direktive der vatikanischen Glaubenskongregation von 2001, nach der auch schwere Missbrauchsfälle zuallererst der päpstlichen Geheimhaltung unterlägen und eben nicht an staatliche Stellen weitergegeben werden sollten.

Anders als die FDP-Politikerin stellte SPD-Vorstandsmitglied Ralf Stegner die Verjährungsfristen bei sexuellem Missbrauch infrage. "Es muss gelingen, die Dunkelziffer zu verringern und das zum Teil jahrzehntelange Schweigen aufzubrechen", sagte der schleswig-holsteinische SPD-Vorsitzende dem "Hamburger Abendblatt" (Montag). Deshalb sollten gesetzlichen Verjährungsfristen überprüft werden.

Lehrer: Das Problem nicht den Kirchen überlassen
Der Deutsche Lehrerverband (DL) forderte die Kultusminister auf, in allen Bundesländern Sonderbeauftragte zur Aufklärung möglicher Fälle einzusetzen. "Die Kultusminister haben die verfassungsrechtliche Pflicht, Fälle sexuellen Missbrauchs an Schulen rasch aufzudecken und an die Justiz weiterzuleiten", sagte DL-Präsident Josef Kraus der "Neuen Osnabrücker Zeitung". Die Schulen stünden nach dem Grundgesetz unter Aufsicht des Staates. Das gelte auch für Einrichtungen in privater und kirchlicher Trägerschaft, betonte Kraus.

"Das Problem des Missbrauchs von Schülern darf nicht den Kirchen überlassen bleiben, hier muss auch die staatliche Schulverwaltung genau hinschauen", so Kraus weiter. Den Vorstoß von Bildungsministerin Annette Schavan (CDU), die mit den Lehrerverbänden über Maßnahmen beraten will, nannte Kraus "puren Aktionismus". Die Bundesministerin habe im Schulbereich praktisch keine rechtliche Handhabe. "Außer ein paar schönen Schlagzeilen wird das Treffen nichts bringen." Der DL-Präsident forderte vielmehr ein "Sondertreffen der Kultusministerkonferenz noch im März, um ein bundesweit abgestimmtes Vorgehen zu beschließen".

Der Vorsitzende des Deutschen Philologenverbandes, Heinz-Peter Meidinger, sprach sich im ZDF-"Morgenmagazin" dafür aus, an jeder Schule eine Vertrauensperson zu installieren, die entsprechend geschult sei. Zugleich mahnte er, nicht alle 42.000 Schulen unter Generalverdacht zu stellen. Es gebe "bestimmte Umfelder, wo entsprechend veranlagte Lehrer Gelegenheit haben, mit Schülern allein zu sein, etwa Internate oder auch Ganztagsschulen, wo dann das Gefahrenpotenzial größer ist".