Merkel: Europa braucht Verfassungsvertrag

Regierungserklärung zur EU-Präsidentschaft

Gut zwei Wochen vor der Übernahme der EU-Ratspräsidentschaft hat Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) die Notwendigkeit einer europäischen Verfassung betont. Die europäische Integration müsse auch in Zukunft wertegebunden sein, daher brauche Europa einen Verfassungsvertrag, sagte Merkel am Donnerstag in einer Regierungserklärung im Bundestag. Die Verantwortung Deutschlands sei in dieser Frage klar. Die Opposition reagierte erwartungsgemäß kritisch auf die Erklärung.

 (DR)

Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hat die deutsche Doppelpräsidentschaft in der EU und der G8 im kommenden Jahr zur nationalen Aufgabe erklärt. Dabei bat Merkel am Donnerstag die Opposition und die Bundesländer um Unterstützung: "Machen wir uns die Präsidentschaften zu einem gemeinsamen nationalen Anliegen."

Schwerpunkte der Präsidentschaft
Merkel stellte den Bundestagsabgeordneten das Arbeitsprogramm der Bundesregierung für den EU-Vorsitz in der ersten Hälfte 2007 vor. Dabei warnte sie vor einem endgültigen Scheitern der EU-Verfassung. Es wäre ein "historisches Versäumnis", wenn bis zu Europawahl 2009 kein "Ergebnis zur Substanz des Verfassungsvertrages" vorläge. "Wir brauchen einen Verfassungsvertrag", betonte Merkel. Berlin werde dafür bis zum Ende der Ratspräsidentschaft einen Fahrplan ausarbeiten.


Bei ihrem EU-Vorsitz fühle sich die Bundesregierung "der Weiterentwicklung des europäischen Wirtschafts- und Sozialmodells verpflichtet", sagte die Kanzlerin. Als Schwerpunkte der deutschen Ratspräsidentschaft nannte sie den Bürokratieabbau, die Vollendung des Binnenmarktes insbesondere im Energiesektor, den Klimaschutz sowie Forschung und Bildung.


Hoffnungen für Kroatien
Die Kanzlerin verteidigte zudem die Reaktion der EU auf die Nichtumsetzung des Ankara-Protokolls durch die Türkei als "entschlossen und besonnen". Die EU-Außenminister hatten sich darauf verständigt, in den Beitrittsgesprächen mit Ankara acht der insgesamt 35 Kapitel zunächst nicht zu eröffnen. Zugleich schloss Merkel weitere Erweiterungsschritte in der EU nicht aus. Dies gelte insbesondere für Kroatien. Auch weitere Staaten des westlichen Balkans hätten eine mittlere Beitrittsperspektive.

Lob und Tadel aus der Opposition
Ziel müsse es sein, das Wachstum in der Welt zu fördern und "Europa gemeinsam gelingen" zu lassen. Während die FDP Rückhalt zusicherte, kam von Linkspartei und Grünen harsche Kritik an der Europapolitik der Bundesregierung.

FDP-Chef Guido Westerwelle sagte Merkel Unterstützung zu: "Wir alle wollen den Erfolg ihrer Präsidentschaft." Hier gehe es um deutsches Interesse "und nicht um Opposition oder Koalition". Westerwelle rief die Koalition allerdings zur Einigkeit in der Türkei-Frage auf und mahnte, den europäischen Binnenmarkt als Chance und nicht als Risiko zu begreifen.

Links-Fraktionschef Oskar Lafontaine forderte erneut eine Volksabstimmung über die EU-Verfassung. Diese müsse die Interessen der Mehrheit der Bürger berücksichtigen und nicht die der der Großkonzerne. Lafontaine kritisierte europäische "Fehlentwicklungen" beim Lohn-, Sozial- und Steuerdumping, bei denen Deutschland Vorreiter sei.

Grünen-Fraktionschefin Renate Künast bemängelt, Merkel habe in ihrer Regierungserklärung die Ziele nicht konkret benannt: "Diese Rede war seltsam blutleer und dürftig." Durch unnötige Provokationen in Richtung Türkei habe Merkel einen "Klotz am Bein". Künast forderte außerdem größere Schritte beim Klima- und europäischen Datenschutz sowie eine offene Debatte über die EU-Verfassung.

CSU-Landesgruppenchef Peter Ramsauer lobte dagegen, Merkel habe mit einer "großartigen Regierungserklärung" Mut gemacht für die Ratspräsidentschaft. Zugleich warnte er vor zu großer Nachgiebigkeit gegenüber der Türkei. Der EU-Beschluss sei "das mindeste, was als Antwort erforderlich war".

Der frühere Bundesfinanzminister Hans Eichel (SPD) mahnte längerfristig eine Harmonisierung der Steuer- und Sozialsysteme in der EU an. Ein gemeinsamer Markt mit 27 unterschiedlichen Steuer - und Sozialsystemen sei nicht vorstellbar.

Weitere Themen im Bundestag: Rente und Köhler
Im Anschluss an die EU-Debatte befassen sich die Abgeordneten in erster Lesung mit dem Koalitionsentwurf zur Anhebung des Renteneintrittsalters auf 67 Jahre. Am Nachmittag debattieren die Abgeordneten zudem über die rechtsstaatlichen Anforderungen an eine ordnungsgemäße Gesetzgebungsarbeit. Dabei wird es auch um die Kritik aus den Koalitionsparteien an Bundespräsident Köhler gehen, der zwei Gesetzen wegen verfassungsrechtlicher Bedenken die Unterschrift verweigert hatte.

EU-Gipfel am Nachmittag
Auch in Brüssel steht am Nachmittag die Themen Türkei und EU-Erweiterung auf dem Programm. Die Staats- und Regierungschefs wollen die Bremse ziehen: Zukünftige Beitritte sollen an das Kriterium der "Integrationsfähigkeit" Europas gekoppelt werden.