Merkel drängt auf "entscheidende Wende" in der Marktwirtschaft

Besser spät als nie

Bundeskanzlerin Angela Merkel hat einen "verlässlichen inneren Kompass" als unabdingbar für politisches Handeln bezeichnet. Mit Blick auf die Wirtschaftskrise rief sie am Dienstagabend in München in der Katholischen Akademie in Bayern zu einer Rückbesinnung auf die Soziale Marktwirtschaft auf. Ohne "eine entscheidende Wende" drohe in einigen Jahren eine erneute Zuspitzung.

 (DR)

Dabei müssten die politisch Verantwortlichen lernen, international vernetzt und nachhaltig zu denken, sagte Merkel und verwies auf die Sozialenzyklika «Caritas in veritate» (Die Liebe in der Wahrheit) von Papst Benedikt XVI. Die Politik sei auf einen breiten Diskurs angewiesen. Ihr Ziel sei eine internationale Vereinbarung zu einem Wirtschaften nach dem Vorbild der UN-Menschenrechtscharta.

Die Veranstaltung der Katholischen Akademie in Bayern stand unter dem Thema «Politisches Handeln aus christlicher Verantwortung». Dabei verwies die Kanzlerin auf die Rolle von Toleranz und Demut im politischen Alltag und plädierte für ein ihrer Ansicht nach richtiges Verständnis von Freiheit. Grenzenlose Freiheit könne und dürfe es nicht geben.

Im Diskussionsteil des Abends äußerte sich Merkel zum Umgang der Kirche mit Holocaustleugnern. Die Haltung von Papst Benedikt XVI.
zur Judenverfolgung bezeichnete sie als über jeden Zweifel erhaben.
Die Kirchenleitung müsse aber unmissverständlich klar machen, was im kirchlichen Umfeld möglich sei, verteidigte sie ihre Kritik am Verhalten des Vatikan in der Affäre um den Holocaustleugner Richard Williamson. Der Brite gehört zu den vier Traditionalistenbischöfen, deren Exkommunikation der Papst Anfang des Jahres aufgehoben hatte.
Später stellte der Vatikan klar, dass der Papst die Äußerungen Williamsons, die dieser in einem in Bayern aufgezeichneten TV-Interview gemacht hatte, nicht gekannt habe und die vier Bischöfe weiterhin von den kirchlichen Ämtern suspendiert seien.

Die Bundeskanzlerin betonte, es sei ihr nicht daran gelegen gewesen, Menschen katholischen Glaubens in ihren religiösen Gefühlen zu verletzen. Der Papst sei «Stellvertreter Gottes auf Erden» und zugleich ein politisches Staatsoberhaupt. Für eine deutsche Bundeskanzlerin sei immer dann, wenn wie im Fall Williamson auf deutschem Boden der Holocaust geleugnet werde, eine Situation erreicht, wo sie «auch das Wort ergreift».

Merkel rief die Kirchen auf, engagierter auf Ungetaufte zuzugehen.
Wenn sich heute 20-Jährige für die Taufe oder kirchliche Angebote interessierten, falle ihnen ein Zugang nicht leicht. «Unsere Kirchentüren müssen dafür wieder offenstehen», meinte sie. Die Bundeskanzlerin verwies auf die nach wie vor verbreiteten Feiern der Jugendweihe in Ostdeutschland. Vielfach wollten Eltern für heranwachsende Kinder ein Ritual im Familien- und Freundeskreis, hätten dafür jedoch «kein Instrumentarium mehr».

Der Münchner Erzbischof Reinhard Marx begrüßte zum Auftakt des Abends die Debatte um das spezifisch Christliche im Titel der Unionsparteien. Eine Partei, die sich das «C» in den Namen schreibe, könne nicht aus eigener Kraft heraus definieren, was sich damit verbinde. Sie müsse sich an diesem Maßstab messen lassen und gute Kontakte zu den Kirchen pflegen.

Merkel sagte dazu, wenn die Unionsparteien nicht das «C» im Namen hätten, würden zahlreiche Gesetze der zu Ende gehenden Legislaturperiode anders aussehen. Als Beispiel nannte sie das Thema Spätabtreibungen. Die Parteien hätten zu akzeptieren, dass sich die Kirchen «als kritisches Korrektiv immer wieder einmischen». Zu den Besuchern der Veranstaltung zählten außer dem Münchner Alt-Erzbischof Kardinal Friedrich Wetter auch Bayerns Ministerpräsident Horst Seehofer (CSU) sowie die Präsidentin des Zentralrats der Juden in Deutschland, Charlotte Knobloch.