Menschenrechtsorganisation fordert Aufklärung über Olympia

"Diese Spiele verdienen unsere Partizipation nicht"

Am Freitag beginnen die Olympischen Winterspiele in Peking. Menschenrechtler kritisieren die Einschränkung der Meinungsfreiheit von Sportlern durch Chinas Regierung. Martin Lessenthin sieht daher Politik und Medien in der Pflicht.

Peking: Die olympischen Ringe auf einer Fahne sind hinter den Sicherheitskameras zu sehen / © Peter Kneffel (dpa)
Peking: Die olympischen Ringe auf einer Fahne sind hinter den Sicherheitskameras zu sehen / © Peter Kneffel ( dpa )
Martin Lessenthin / © Internationale Gesellschaft für Menschenrechte / IGFM
Martin Lessenthin / © Internationale Gesellschaft für Menschenrechte / IGFM

DOMRADIO.DE: Die Sportlerinnen und Sportler bei den Olympischen Spielen wollen um Medaillen kämpfen und nun geht es um deren Meinungsfreiheit. Inwiefern?

Martin Lessenthin (Vorstandssprecher der Internationalen Gesellschaft für Menschenrechte): Inzwischen sind die Sportler selbst zu Opfern von Menschenrechtsverletzungen geworden, leider, denn ihre freie Meinungsäußerung wird nicht gewährt. Sie sind angehalten, dass sie nicht über China, nicht über Menschenrechte sprechen.

Sie werden überwacht. Sie sind angehalten, von ihrem Recht auf Informationsfreiheit keinen Gebrauch zu machen. Das heißt, die dürfen ihre privaten Handys nicht benutzen. Sie wissen eigentlich, dass sie jetzt nur noch das Rädchen im Getriebe des Olympia-Business geworden sind. Sie müssen funktionieren. Sie dürfen um Ranglisten und Platzierungen und sogar um Medaillen streiten. Aber ansonsten spielen sie ganz entgegen des olympischen Geistes gar keine Rolle.

DOMRADIO.DE: Gab es schon Reaktionen von Sportlern dazu? Wenn man zum Beispiel sein Handy nicht benutzen darf, geht das ins Persönlichkeitsrecht und wird wahrscheinlich auch für Unmut gesorgt haben.

Lessenthin: Es gibt Sportler, die deutlich gemacht haben, dass sie sich diesen Restriktionen nicht aussetzen werden. Inwiefern sie auch wirklich davon Gebrauch machen können, dass sie mit ihrer eigenen Kommunikation umgehen und sich auch bei Zeiten zu Wort melden, werden wir sehen.

China ist der Überwachungsstaat schlechthin. Es ist auch für jeden Sportler, auch wenn er besonders pfiffig ist, schwer, die totale Überwachung zu umgehen.

Katholische Kirche in China

Nach Schätzungen von Experten sind rund 10 Millionen der knapp 1,4 Milliarden Einwohnern der Volksrepublik China Katholiken; die Behörden verzeichnen jedoch lediglich 6 Millionen. Das US-Forschungsinstitut Pew geht von 9 Millionen aus. Als kleine Minderheit haben die Katholiken mit rund 100 Diözesen dennoch landesweit funktionierende Kirchenstrukturen.

Kruzifix in katholischer Kirche in China / © Katharina Ebel (KNA)
Kruzifix in katholischer Kirche in China / © Katharina Ebel ( KNA )

DOMRADIO.DE: Wenn aber jemand den Mund aufmacht und was sagt, dann bringen sich die Sportlerinnen und Sportler doch in Gefahr.

Lessenthin: Dann bringen sie sich in große Gefahr und mit ihnen auch andere. Dennoch haben Sportler signalisiert, dass sie sich diesem absoluten Druck nicht hingeben wollen und dass sie auch an den Geist von Olympia und natürlich an die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte erinnern wollen.

DOMRADIO.DE: Sie sagen, Menschenrechtsverletzungen dürfen nicht mit dem Prestige und der weltweiten Anerkennung belohnt werden, die mit der Ausrichtung der Spiele einhergehen. Warum sind die Menschenrechtsverletzungen aus Ihrer Sicht nicht mit der Charta vereinbar und wie kommt es dann, dass Peking den Zuschlag gekriegt hat?

Lessenthin: Die Olympischen Spiele haben von ihrem Geist her das Ziel, die Jugend der Welt in friedlichem Wettkampf zu vereinen. Der Gedanke der Fairness spielt dabei die allergrößte Rolle. Der Gedanke der Toleranz ist die Basis. Beides ist natürlich in einem Olympiasystem, das von China reguliert wird, undenkbar. Weder Toleranz noch Fairness, vor allem Fairness gegenüber denjenigen, die andersdenkend sind, kann dort nicht stattfinden.

DOMRADIO.DE: Wie damit umgehen? Die Sportlerinnen und Sportler sind ja stolz auf ihre Leistung, die wollen diese Leistung bringen und möchten natürlich ihre Medaille auch gerne haben. Die werden vermutlich nicht aus Protest zu Hause bleiben.

Lessenthin: Die Sportler reisen an und wir müssen natürlich auch sehen, dass Sportler aus unterschiedlichsten Systemen dort teilnehmen. Unter anderem Sportler, die noch nie etwas von den olympischen Prinzipien gehört haben und die natürlich auch nicht wissen, was Menschenrechte sind, was sie bedeuten und warum es so wichtig ist, sie zu verteidigen.

Es gibt auch Sportler, die dort teilnehmen, die kennen die Menschenrechtslage in China nicht, weil sie Opfer von Desinformation oder einseitiger Information, weggenommener Information sind. Damit muss man klarkommen, wenn man an internationalen Olympischen Spielen in irgendeiner Weise partizipiert.

Umso wichtiger ist es, dass man die Schweigespirale durchbricht und dass man Olympia in Peking zum Anlass nimmt, zu Menschenrechtsverletzungen durch Peking, durch die dort allein regierende Kommunistische Partei zu thematisieren. Wir brauchen genauso viel Sendeplatz für Menschenrechtsinformation über China, wie nun für Sportberichte von den olympischen Stätten reserviert werden soll.

DOMRADIO.DE: Mit welchen Gefühlen werden Sie ab Freitag die Olympischen Winterspiele in Peking mitverfolgen?

Martin Lessenthin (Internationale Gesellschaft für Menschenrechte)

"Diese Spiele und diejenigen, die sie organisieren, die daran Profit machen, verdienen unsere Partizipation nicht. Sie sollten nicht dadurch belohnt werden, dass wir ihnen Einschaltquoten geben."

Lessenthin: Ich denke an die Sportler auch aus China, die aus den verschiedensten Gründen dort nicht teilnehmen dürfen, die in Ungnade gefallen sind, weil sie einmal Kritik geübt haben, die jetzt zum Beispiel in Lagern sind und der Gehirnwäsche unterworfen werden.

Und ich werde selber nur sehr, sehr sparsam – im Unterschied zu vergangenen Olympischen Spielen – davon Gebrauch machen, am Fernsehen zum Beispiel als Gast mit dabei zu sein. Denn diese Spiele und diejenigen, die sie organisieren, die daran Profit machen, verdienen unsere Partizipation nicht. Sie sollten nicht dadurch belohnt werden, dass wir ihnen Einschaltquoten geben.

DOMRADIO.DE: Lassen sich möglicherweise sogar Parallelen ziehen, auch zur umstrittenen WM in Katar? Da scheint ja auch der Sport über den Menschenleben zu stehen.

Lessenthin: Natürlich, auch hier ist der Sport das Vehikel für politische Reputation, die ein Regime sucht, das diese positive Reputation in keiner Weise verdient hat. Sportler werden instrumentalisiert und Werbepartner werden mit hohen Anreizen auf Profit dafür akquiriert.

Beide Großveranstaltungen sind Veranstaltungen auf dem Rücken der Menschenrechte und auf dem Rücken der Menschen, die in irgendeiner Weise zum Gelingen beitragen, seien sie nun Sportler oder ausgebeutete Bauarbeiter bei der Einrichtung von Stadien und so weiter.

Das Interview führte Dagmar Peters.

Quelle:
DR