Menschenrechtsbeauftragter der Bundesregierung im Interview zur Lage im Iran

"Menschenrechte sind nicht system-neutral"

Die Welt blickt zu Zeit in den Iran, ist bestürzt angesichts des Chaos und der Gewaltzustände. Exil-Iraner auf der ganzen Welt demonstrieren lautstark für Freiheit und Demokratie. Die westlichen Staatschefs dagegen haben sich lange Zeit zurückgehalten. Erst am Wochenende haben US-Präsident Obama und Kanzlerin Merkel ihren Ton verschärft. Günter Nooke, Menschenrechtsbeauftragter der Bundesregierung, im domradio-Interview zur Unteilbarkeit der Menschenrechte.

 (DR)

domradio: Wie erklären Sie es sich, dass sich die westlichen Staaten vergleichsweise zurückhaltend verhalten?
Nooke: Ich verstehe das schon, finde es aber nicht gut, dass wir Menschenrechtsverletzungen mit offensichtlich unterschiedlichen Maßstäben in verschiedenen Ländern messen.

Regierungschefs müssen Verhandlungen führen, besonders wenn es wie im Falle Iran auch um Sicherheitsfragen geht, aber ich glaube schon, dass die Rede des geistigen Oberhaupts des Irans, Ajatollah Sejed Ali Chamenei, relativ zurückhaltend aufgenommen wurde. Obwohl dort zur blutigen Niederschlagung der Demonstrationen aufgerufen wurde. Das ist inakzeptabel, das würden wir bei einer kommunistischen Führung oder einer Militärjunta auch kritisieren. Das geht auch nicht bei einem islamischen Führer.

Bei den Demonstrationen wird deutlich, dass viele Menschen im Iran ihre Geschicke selbst in die Hand nehmen wollen und für Freiheit und Demokratie auf die Straße gehen. Es geht darum, dass der Iran Meinungsfreiheit und Pressefreiheit und Versammlungsfreiheit zulässt, weil er sich dazu völkerrechtlich verpflichtet hat.

domradio: Wie schwierig ist es denn, den richtigen Ton dabei zu treffen? Der Regierungssprecher von Kanzlerin Merkel betonte zum Beispiel, man sei lediglich im Einklang mit dem Völkerrecht, man wolle sich nicht „einmischen". Ist dieses „Einmischen" nötig?
Nooke: Es ist ja keine Einmischung, wenn man den Iran daran erinnert, was er selbst völkerrechtlich zugesagt hat. Aus der Sicht der Betroffenen im Iran wünscht man sich diese Einmischung, sie haben ja auch eine ermutigende Rolle für die Demonstranten. Es kann nicht sein, dass im Iran der religiöse Führer zur Gewalt gegen Demonstranten aufruft, ohne dass die westliche Welt reagiert.

domradio: Sie fordern eine Abschaffung des Gottesstaates im Iran?
Nooke: Ich spreche mich nicht direkt für einen Systemwechsel aus, aber Menschenrechte sind nicht system-neutral. Der Schutz der Menschenrechte ist nicht in jedem System gleichermaßen gewährt. Die islamische Republik Iran verletzt nicht erst seit der Wahl Menschenrechte. Schon vorher waren Frauenrechte nicht gewährleistet, Minderjährige wurden hingerichtet.

domradio: Was muss vielleicht kurzfristig im Iran passieren, damit die Menschenrechte nicht mehr mit Füßen getreten werden?
Nooke: Es muss vor allen Dingen darum gehen, dass die freie Berichterstattung wieder ermöglicht wird. Die Kommunikationsrechte sind ganz entscheidend für die Unteilbarkeit der Menschenrechte. Es muss möglich sein, dass die Konflikte innerhalb Irans friedlich ausgetragen werden. Nötig ist ein Aufruf, dass alle streitenden Gruppen auf Gewalt verzichten.