Menschenrechtlerin kritisiert Ägyptens Regierung

Politischer Herbst statt Arabischer Frühling

Als vor sechs Jahren auch in Ägypten der Arabische Frühling ausbrach, hatten viele die Hoffnung auf eine positive Änderung. Doch seit Präsident Al-Sisi im Jahr 2014 das politische Zepter übernahm, welkt die Zuversicht - an vielen Stellen.

Wahrzeichen Ägyptens: Pyramiden von Gizeh / © Hans Knapp (KNA)
Wahrzeichen Ägyptens: Pyramiden von Gizeh / © Hans Knapp ( KNA )

domradio.de: Präsident Al-Sisi ist General und Machtpolitiker, der rücksichtlos gegen Kritiker vorgeht. Wie beurteilen Sie seine Politik aus der Perspektive der Menschenrechtlerin?

Barbara Lochbihler (Außen- und menschenrechtspolitische Sprecherin der Grünen/EFA-Fraktion im Europaparlament): Er argumentiert sehr oft, dass diejenigen, die eigentlich in ihrer politischen Grundhaltung liberal sind und nicht in der Nähe der Muslim-Brüder stehen und Kritik an seiner Regierung führen, eine Gefahr darstellen und den Terrorismus stärken. Er hat diese ganz alte Argumentationslinie, jegliche Kritik abzuwürgen, indem man sie als Sicherheitsgefahr einstuft. Das ist sehr schlecht, weil er damit gegen die Kräfte wie Menschenrechtsorganisation, Frauenrechtsorganisationen oder diejenigen, die sich für eine Verbesserung des Justizwesens einsetzen, die er eigentlich braucht, um den Staat zu reformieren, vorgeht. Wir haben im Jahr 2016 Tendenzen in diese Richtung mit neuen Gesetzen beobachtet, die gegen Menschenrechtsorganisationen gerichtet sind.

domradio.de: Ist er also kaum besser als der ehemalige Präsident Mubarak, dessentwegen die Proteste auf dem Tahir-Platz begonnen haben?

Lochbihler: Da denkt er wie ein Militär und ein Mann, der sich mit den Sicherheitsdiensten auskennt.

domradio.de: Vor genau einem Jahr verschwand in Kairo ein italienischer Student und wurde wenige Tage später mit schlimmen Folter-Spuren tot aufgefunden. Das hat in Europa für viel Aufsehen gesorgt. Nur ein Fall von vielen?

Lochbihler: Das ist ein besonders auffällig brutales Verbrechen gewesen. Der Student ist an dem Tag verschwunden, an dem sehr viele Sicherheitskräfte auf der Straße waren. Es war der Tag der Revolution. Man kann fast ausschließen, dass staatliche Geheimdienste, Polizei oder Militär nicht irgendetwas gemerkt hätten. Es stellt sich die Frage, ob der ägyptische Staat aufklären wird, wer für den brutalen Mord an dem Studenten verantwortlich ist. Wir hatten seine Eltern im Menschenrechtsausschuss, die mehrfach gesagt haben, der ägyptische Staat versichere, alles zu tun, um die Sache aufzuklären, aber sie kooperieren nicht, um wirklich unabhängig die Schuldigen zu finden. Weil es eben auch ein EU-Bürger war, ist die Aufmerksamkeit in diesem Fall sehr groß. Es ist aber eigentlich ein untypisches Verbrechen gewesen, weil normalerweise Folter und Misshandlungen nicht so deutlich zum Tragen kommen, indem man die Leiche dann öffentlich an die Straße legt.

domradio.de: Trotz allem spricht sich die Bundesregierung für eine enge Kooperation zwischen der EU und Ägypten in der Flüchtlingsabwehr aus. Ist das zu verantworten?

Lochbihler: Man muss immer, egal bei welcher Zusammenarbeit, eine Verbesserung der Menschenrechtssituation einfordern. Man darf sich diese Kritik auch nicht "abkaufen" lassen, wenn man möchte, dass Ägypten die Grenze dicht macht und von dort aus keine Flüchtlinge mehr kommen. Man muss darauf drängen, dass Menschenrechtsorganisationen dort ungestört arbeiten können. Man muss auch realisieren, dass, wenn Deutschland mit Ägypten zusammenarbeitet, man selbstverständlich auch auf bessere wirtschaftliche Zusammenarbeit drängt. Der Tourismus liegt am Boden. Es gibt große Probleme, auch Armutsprobleme.

Aber man darf sich deswegen nicht die Forderung verbieten lassen, selber mehr Menschenrechtsschutz zu fördern. Die EU und auch Deutschland als Mitgliedsstaat sollten sich eher überlegen, welche Möglichkeiten es gibt, die Flüchtlingslage in Ägypten zu entlasten. Den Flüchtlingen sollte die Möglichkeit geboten werden, in einem geordneten Aufnahmeverfahren nach Europa gebracht zu werden.

domradio.de: Sigmar Gabriel wird jetzt Außenminister. Was fordern Sie mit Blick auf seine künftige Ägypten-Politik?

Lochbihler: Wenn er eine Auswahl treffen könnte, welche Themen er da anspricht, dann ist eine Reform des Justizwesens prioritär zu sehen. Es sollte eigentlich ein neues Gesetz zur Verhinderung von Folter geben. Dazu gibt es Entwürfe, die aber nicht weiter kommen. Er muss sich auch die Situation in den Gefängnissen ansehen und die wirklich willkürlichen Verhaftungen und unfairen Gerichtsverfahren, die es dort zu Hauf gibt. Das würde ich ihm mit auf den Weg geben.

Das Interview führte Hilde Regeniter.


Barbara Lochbihler / © Tobias Hase (dpa)
Barbara Lochbihler / © Tobias Hase ( dpa )
Quelle:
DR