Menschenrechte: Im Christentum eine wechselvolle Geschichte

Spagat zwischen Freiheit und Tradition

Allein schon durch das Gebot der Nächstenliebe sind die Menschenrechte im Christentum tief verankert.

"Il Papa buono": Papst Johannes XXIII.
 (KNA)
"Il Papa buono": Papst Johannes XXIII. / ( KNA )

Schließlich wird im Alten und Neuen Testament zur Solidarität mit Schwachen und Armen ermahnt und der Mensch als Ebenbild Gottes bezeichnet. "Und Gott schuf den Menschen nach seinem Bilde", steht im Schöpfungsbericht im ersten Buch Mose (Genesis) - ein Grundlagentext der jüdisch-christlichen Tradition. Dennoch: Die Kirchen haben sich mit dem Gedanken der Menschenrechte jahrhundertelang sehr schwer getan, diesen zum Teil sogar bekämpft. Vor allem wegen der radikal antiklerikalen Stimmung während der Französischen Revolution Ende des 18. Jahrhunderts stieß die Idee der Menschenrechte bei den großen Kirchen in Europa während des ganzen 19. Jahrhunderts auf Skepsis bis Ablehnung. Man fürchtete, die Menschen könnten in das Extrem einer zügellosen Freiheit fallen, Staat und Kirchen ihren Einfluss verlieren.

Ein Umdenken setzte ein mit der vor 60 Jahren - am 10. Dezember
1948 - von der Generalversammlung der Vereinten Nationen in Paris verkündeten Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte. Nach den Gräueln der Weltkriege in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts rangen auch die Kirchen darum, wie man ein globales Blutvergießen in Zukunft verhindern kann.

Ein Meilenstein war die Enzyklika «Pacem in Terris» («Frieden auf Erden») von Papst Johannes XXIII. aus dem Jahr 1963: «Bezüglich der Menschenrechte, die Wir ins Auge fassen wollen, stellen Wir gleich zu Beginn fest, daß der Mensch das Recht auf Leben hat, auf die Unversehrtheit des Leibes sowie auf die geeigneten Mittel zu angemessener Lebensführung.»

Es ist allerdings nicht so, dass die Kirchen die Menschenrechte erst im 20. Jahrhundert entdeckt hätten. Bereits in der frühen Christenheit wurden entsprechende philosophische Vorstellungen aus der Antike übernommen. Martin Luther (1483-1546) machte am Ende des Mittelalters deutlich, dass die Würde und der Wert eines Menschen nicht von dessen Leistung oder Fehlern abhängt. Auch der Reformator Johannes Calvin, an dessen 500. Geburtstag 2009 gedacht wird, beeinflusste die moderne Idee der Menschenrechte.

Die reformatorische Forderung nach Glaubens- und Gewissensfreiheit ist für Historiker daher auch eine der Quellen der modernen Menschenrechtserklärungen. In der Neuzeit setzten sich humanistische Vordenker und Moraltheologen wie der Jesuit Friedrich Spee von Langenfeld (1591-1635) oder der Protestant Christian Thomasius (1655-1728) für ein Ende der grausamen Hexenverfolgungen ein.

Der schwarze Baptistenpfarrer Martin Luther King (1929-1969) schließlich kämpfte in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts für die Menschenrechte der farbigen Minderheit in den USA: «Ich habe einen Traum, dass eines Tages auf den roten Hügeln von Georgia die Söhne früherer Sklaven und die Söhne früherer Sklavenhalter miteinander am Tisch der Brüderlichkeit sitzen können.»

Die Menschenrechtsarbeit steht seit den 1940er Jahren auch auf der Agenda der ökumenischen Bewegung ganz oben. Seit 1968 gewann das Programm des Ökumenischen Rates der Kirchen (ÖRK) zur Bekämpfung des Rassismus an Bedeutung. Historiker werten es als wichtigen Beitrag zum Ende der Apartheid in Südafrika. Der mehr als 560 Millionen nicht-katholische Gläubige repräsentierende Weltkirchenrat erinnerte jüngst daran, dass die Kirchen schon bei der Formulierung der Erklärung der Menschenrechte vor 60 Jahren aktiv mitgewirkt haben.

«Jeder Mensch muss menschlich behandelt werden», heißt es auch in dem von dem katholischen Theologen Hans Küng ins Leben gerufenen Weltethos-Projekt: «Was du nicht willst, das man dir tut, das füg auch keinem anderen zu. Oder positiv: Was du willst, das man dir tut, das tue auch den anderen!» Diese sogenannte Goldene Regel ist Küng zufolge seit Jahrtausenden in vielen religiösen und ethischen Traditionen der Menschheit zu finden und hat sich bewährt.

Mit der Erklärung der Menschen- und Grundrechte, bilanziert schließlich der evangelische Theologe Helmut Thielicke (1908-1986), werden die Menschen auch vor sich selbst in Schutz genommen: «Die Erklärung der Menschenrechte hat darum nicht - oder jedenfalls nicht allein! - den Sinn einer philosophischen Proklamation, sondern den einer politischen Aktion.»