Menschen suchen besonders heutzutage wieder nach Berufung

Altes Wort mit neuer Bedeutung

Die allermeisten Menschen wünschen sich ein erfülltes Leben. Möglich wird das laut Fachleuten besonders dann, wenn jemand das eigene Potenzial entfalten kann. Frei von Widrigkeiten ist der Weg dorthin jedoch eher selten.

Steinmetz arbeitet mit einem Spitzeisen auf Stein
 / © Harald Oppitz (KNA)
Steinmetz arbeitet mit einem Spitzeisen auf Stein / © Harald Oppitz ( KNA )

Klar ist man teamfähig – diese Erwartung wird schließlich in fast jeder Stellenausschreibung formuliert. Und man hat ja durchaus schon mit anderen Leuten gelernt oder gearbeitet, also passt es wohl, diese Fähigkeit in der Bewerbung zu erwähnen. So geschieht es oft.

Agnes Arnold, Seelsorgerin im Team Berufungscoaching der Erzdiözese München und Freising, am 6. Juni 2023 in Brunnthal. / © Agnes Arnold (KNA)
Agnes Arnold, Seelsorgerin im Team Berufungscoaching der Erzdiözese München und Freising, am 6. Juni 2023 in Brunnthal. / © Agnes Arnold ( KNA )

Für Agnes Arnold ist die Unterscheidung zwischen "Teamplayerinnen" und Einzelkämpfern indes ein Beispiel dafür, wie Menschen ihre Fähigkeiten und Stärken erkennen und sinnvoll nutzen können.

Die Seelsorgerin gehört zum Team Berufungscoaching der Erzdiözese München und Freising.

Berufung hat nicht nur religiöse Dimension

"Berufung", das Wort kommt ursprünglich aus dem religiösen Zusammenhang und klingt bedeutungsschwer. Bei ihrem Coaching können Glaubensthemen eine Rolle spielen – müssen es jedoch nicht, wie Arnold erklärt.

Ebenso könne es sein, "dass jemand gern unterrichtet, die Fähigkeit hat, andere zu begeistern oder ein Händchen für Kommunikation.

Oft geht es um Kleinigkeiten, die wir nicht richtig wertschätzen" – wie eben die Frage, ob jemand im Team aufblüht oder sich allein in eine Tätigkeit vertiefen kann.

Coaching-Lehrgang des Erzbistums mit Zertifikat

Wer ein Gespür für diese Details entwickle, könne die eigenen Fähigkeiten so einbringen, "dass sie uns selbst guttun und auch der Gemeinschaft oder der Umwelt".

Das Berufungscoaching WaVe – der Name ist zusammengesetzt aus "Wachstum" und "Veränderung" – baut auf sogenanntem systemischem Coaching auf. Entwickelt von Betriebswirtschaftler und Unternehmensberater Alexander Kaiser, baut es auf dem jüdisch-christlichen Menschenbild auf.

Wer den Lehrgang abschließt, erhält ein Zertifikat und wird offiziell gelistet, im Fall des diözesanen Angebots auch auf den Seiten des Erzbistums. Seriosität auf diesem Weg zu prüfen, sei unbedingt sinnvoll, rät Arnold.

Denn Sinnsuche boomt – und Studien belegen, dass die meisten Menschen sich ein erfülltes Leben wünschen.

Berufung ist nicht immer gleich Beruf

Dazu können Spiritualität und insbesondere eine Berufung beitragen, sagt die Psychologin Doris Baumann. Die Psychologie definiert eine Berufung so, "dass man einer Tätigkeit aus einem inneren Antrieb heraus nachgeht, sich als Person einbringen kann und einen Sinn für sich und die Allgemeinheit darin sieht".

Es lohne sich also, etwa nach einem Beruf zu suchen, der zu einem passe, sagte Baumann, die an der Uni Zürich zu diesen Themen forscht, kürzlich der Zeitschrift "Psychologie Heute".

Zugleich könne eine Berufung auch außerhalb des Berufs liegen, "etwa in der Freiwilligenarbeit. Es gibt Menschen, die aus Berufung neben der Erwerbsarbeit ein Buch schreiben oder als Rentnerin ein Repaircafe eröffnen."

Nie zu spät oder zu früh für Nachdenken über Berufung

Eine Berufung zu haben, hängt laut Baumanns Untersuchungen nicht vom Alter oder dem Beschäftigungsstatus ab. Das betont auch Coach Arnold: Es sei nie zu spät und nie zu früh, sich damit zu befassen, wie das eigene Leben als glücklich und gelingend erlebt werden kann.

Allerdings, das gibt die Seelsorgerin zu bedenken: Im hektischen Alltag liefen einem die Antworten auf diese Fragen "eher nicht über den Weg, sondern wir müssen die Bremse ziehen und uns aktiv Zeit dafür nehmen." Die Coachings bieten dafür einen Rahmen.

Nach einer Kennenlernstunde folgen in der Regel sieben bis acht Treffen von ein bis anderthalb Stunden, in denen Stärken, Ressourcen und auch Bedürfnisse gemeinsam beleuchtet werden.

Im Herbst bietet das Netzwerk des Erzbistums erstmals ein Gruppen-Coaching in Rom an: "Dolce Vita in Fülle" für Menschen zwischen 18 und 30 Jahren.

Runder Geburtstag oder Renteneintritt als Chance

Das klingt verlockend. Allerdings ist es laut Psychologin Baumann meist nicht ohne Widrigkeiten, einer Berufung zu folgen. "Aber emotional lohnt es sich oft", betont sie.

Generell sei ein erfülltes Leben nicht problemlos oder sorgenfrei: "Es entspricht eindeutig nicht dem idealen Leben." Aber "gerade wenn wir Schwierigkeiten meistern, kann das später sehr bereichern."

Schulabschluss, ein runder Geburtstag oder der Eintritt in die Rente: Es gibt viele Anlässe, die Arnold als "Knotenpunkte des Lebens" bezeichnet – und zu denen es sich aus ihrer Sicht lohnt, Bilanz zu ziehen und sich möglicherweise neu aufzustellen.

Denn: "Wenn ich eine Aufgabe gefunden habe, die mich erfüllt, bin ich fast automatisch glücklicher."

Quelle:
KNA