Meloni entdeckt Elend der Vorstädte und die Sozialpfarrer

Helden mit Priesterkragen

Gruppenvergewaltigungen, Drogenhandel, Morde. Italien ist derzeit voll von Horrornachrichten. Tatorte sind oft die trostlosen Vorstädte. Doch immer wieder gibt es Helden, die dem Ganzen den Kampf ansagen. Manche davon sind Pfarrer.

Autor/in:
Ludwig Ring-Eifel
Die italienische Ministerpräsidentin Giorgia Meloni spricht am 31. August 2023 in einer Schule in Caivano / © Roberto Salomone (KNA)
Die italienische Ministerpräsidentin Giorgia Meloni spricht am 31. August 2023 in einer Schule in Caivano / © Roberto Salomone ( KNA )

Unterschiedlicher könnten zwei katholische Pfarrer kaum auftreten. Der eine ist Don Maurizio Patriciello, Pfarrer in Caivano, einem Vorort von Neapel. Er läuft im blauen Kurzarmhemd und mit schlabbrigen Hosen herum. Den weißen Priesterkragen trägt er meist offen; um den Hals baumelt an einer Lederschnur das ramponierte franziskanische Holzkreuz.

Der andere, deutlich jüngere, heißt Don Antonio Coluccia und arbeitet im Osten Roms. Er tritt meist klerikal korrekt gekleidet in der langen schwarzen Soutane mit dem weißen Stehkragen auf, die man nördlich der Alpen aus alten Don-Camillo-Filmen kennt.

Demonstration gegen Anarchie und Trostlosigkeit

Beide Pfarrer sind auf ihre Art unbequem, und sie sind in den vergangenen acht Tagen populär geworden. Beide marschierten in vorderster Reihe bei Demonstrationen mit. Beide kämpfen, so wie Dutzende Priester und Ordensleute in Italien, seit Jahren gegen Drogenhandel, Gewalt und Kriminalität.

Don Antonio Coluccia, Vikar in der Gemeinde San Filippo Apostolo in Rom bei einem Bürgerprotest / © Alessia Giuliani/CPP (KNA)
Don Antonio Coluccia, Vikar in der Gemeinde San Filippo Apostolo in Rom bei einem Bürgerprotest / © Alessia Giuliani/CPP ( KNA )

Ihr Gegner ist das, was man in Italien "degrado" nennt: Einen Zustand des Abstiegs in einen Sumpf aus Anarchie und Trostlosigkeit. Er hat ganze Stadtviertel und ihre Bewohner erfasst, und außer der Abwanderung oder dem Tod scheint es kaum einen Ausweg zu geben.

Wie weit diese Randgebiete abgestiegen sind, hat Italiens Öffentlichkeit in diesem August wieder mal schlagartig zur Kenntnis nehmen müssen: Eine Gruppenvergewaltigung in Palermo, dann zwei wiederholt von jungen Männern sexuell missbrauchte minderjährige Mädchen in Caivano bei Neapel, und schließlich die Attacke gegen Pfarrer Coluccia.

Anschlagsversuch gegen Anti-Drogenhandel-Pfarrer

Coluccia hat seinen Kampf gegen den Drogenhandel, den er im römischen Vorstadtbezirk Tor Bella Monaca mit einem Megafon führt, in dieser Woche fast mit dem Leben bezahlt. Ein Motorradfahrer fuhr frontal auf ihn zu, doch ein Polizist verhinderte die Attacke in letzter Minute. Seit Coluccia unverhohlene Todesdrohungen erhält, steht er unter Polizeischutz. Die Beamten an seiner Seite nennt er nun dankbar "meine Schutzengel".

Nach dem Anschlagsversuch solidarisierten sich von rechts bis links italienische Politiker und Kirchenführer mit dem als rebellisch und unkonventionell geltenden Pfarrer. Er stammt aus der süditalienischen Provinz Lecce, war früher aktiver Kampfsportler und Gewerkschafter; erst relativ spät fand er den Weg in die Kirche und zum Priesterberuf.

Meloni lädt Pfarrer ein und besucht Vorstadt

Regierungschefin Giorgia Meloni – selbst aus dem römischen Arbeitervorort Garbatella stammend und in einfachen Verhältnissen aufgewachsen – setzte sich rasch an die Spitze der Solidaritätsbewegung. Coluccias Anliegen deckt sich mit vielem, was ihre aus der faschistischen "Sozialbewegung" hervorgegangene Partei "Brüder Italiens" fordert: Kampf gegen Drogen und organisiertes Verbrechen, Durchsetzung von Recht und Ordnung, und für die unteren Schichten Hilfe zur Selbsthilfe statt staatlicher Alimentierung.

Meloni lud den Mann in der Soutane am Mittwochabend zu sich in ihren Regierungssitz ein. Das Foto nach der Unterredung zeigt, wie der um zwei Kopf größere Pfarrer väterlich den Arm auf ihre Schulter legt. Stolz verkündet er anschließend, Meloni habe ihm versprochen, eine persönliche "Tour durch die Vorstädte" zu machen. Er hofft auf eine Rückkehr des Staates in die abgestiegenen Zonen der Hauptstadt.

Am Tag danach besuchte die Regierungschefin die trostlose Hochhaussiedlung "Parco Verde" in Caivano nördlich von Neapel, um dort Don Maurizio im blauen Hemd zu treffen. Erst vor wenigen Wochen hatte Meloni die Abschaffung des Bürgergelds in Italien durchgesetzt, von dem gerade in den Vorstädten viele Dauerarbeitslose leben. Und so waren bei ihrem Besuch der Pfarrkirche von Caivano neben begeisterten "Giorgia, Giorgia"-Rufen auch Schreie wie "Mörderin!" und "Hau ab!" zu hören.

Versprechen des Aufbaus

Etwa 40 Minuten soll das Gespräch mit dem Pfarrer gedauert haben. Es endete mit einer herzlichen Umarmung - und mit einer weiteren Zusage der Regierungschefin. Auch hier ist es der Pfarrer, der die Zusagen zuerst verkündet: Das frühere Schwimmbad der Hochhaussiedlung – es sieht nach Jahrzehnten der Verwahrlosung aus wie nach einem russischen Bombenangriff – wolle Meloni bis 2024 wiederaufbauen lassen.

Sie selbst legt später nach und verkündet vor Journalisten, das ganze Viertel solle wiederaufgewertet werden. Sie benutzt den Begriff "bonificare", den einst Benito Mussolini verwendete, wenn es um die Trockenlegung der Sümpfe bei Rom ging. "Dieses Gebiet wird radikal bonifiziert. Ihr werdet schon bald die Früchte sehen!", verspricht sie. Geld soll nun in die Sporteinrichtungen und in vier Schulen fließen. Die örtliche Polizeistation ist bereits renoviert.

Quelle:
KNA