Mehr Opfer von Genitalverstümmelungen in Deutschland

20.000 zerstörte Leben

In Deutschland steigt nach Einschätzung von Experten die Zahl der Opfer von Genitalverstümmelungen. Rund 20.000 Frauen in der Bundesrepublik sind laut der Frauenrechtsorganisation "Terre des Femmes" an den Genitalien verstümmelt. Am Freitag wird der Welttag gegen Genitalverstümmelungen begangen.

 (DR)

Die meisten der betroffenen Frauen kämen aus Afrika, dem Nahen Osten oder Teilen Asiens, in denen die Beschneidung verbreitet sei, sagte Franziska Gruber von «Terre des Femmes» am Donnerstag in Tübingen in einem epd-Gespräch.

Die Frauen würden entweder in Deutschland oder während einer Reise in ihr Heimatland beschnitten, sagte Gruber. Eine Umfrage aus dem Jahr 2005 belege, dass zehn Prozent der Ärzte Kenntnis über Fälle von Genitalverstümmelung hätten. «Gesellschaft und Politik müssen das Problem ernster nehmen», forderte Gruber. Die Verstümmelungen hätten für die Betroffenen lebenslange Folgen. Sie litten häufig an Unfruchtbarkeit, Infektionen oder Geburtskomplikationen. Weltweit gebe es rund 140 Millionen genitalverstümmelte Frauen.

«Terre des Femmes» fordert höhere Strafen für diese Praktik in Deutschland. Die Beschneidung von Frauen müsse grundsätzlich als schwere Körperverletzung strafbar sein und nicht nur im Fall einer Unfruchtbarkeit, verlangte Gruber. Lehrer, medizinisches Personal und Mitarbeiter von Jugendämtern müssten besser geschult werden. Außerdem müssten Ärzte verpflichtet sein, Genitalverstümmelungen zu melden.

Gruber wies darauf hin, dass betroffene Frauen oft selbst an der Tradition der Beschneidung festhielten. So sei die Genitalverstümmelung in einigen Gemeinschaften Voraussetzung für eine Hochzeit. «Um die Zukunft ihrer Töchter zu sichern, geben Mütter dem Druck der Verwandtschaft nach.»

Das Nachbarland Frankreich sei in der Bekämpfung von Genitalverstümmelung bereits weiter. Seit 1979 sei die Beschneidung von Frauen in mehr als 30 Prozessen strafrechtlich verfolgt worden. In besonders schweren Fällen drohe den Tätern ein Freiheitsentzug von bis zu 20 Jahren.

UNICEF warnt vor Modernisierung des Brauchs
Auch das UN-Kinderhilfswerk UNICEF fordert die weltweite Abschaffung von Genitalverstümmelungen. Der «schreckliche Brauch» sei eine Menschenrechtsverletzung und dürfe nicht mehr praktiziert werden, erklärte UNICEF am Donnerstag in Köln. Täglich würden mehr als 8.000 Frauen an ihren Genitalien beschnitten. Obwohl die Praxis bereits fast überall verboten ist, sei sie in mindestens 26 Ländern Afrikas und im Jemen nach wie vor verbreitet.

UNICEF warnte vor einer Modernisierung des Brauchs. So würden Beschneidungen in Ländern wie Ägypten immer häufiger in Krankenhäusern und nicht mehr unter unhygienischen Bedingungen mit Rasierklingen, Messern oder Glasscherben. Medizinisches Fachpersonal trete an die Stelle traditioneller Beschneiderinnen, obwohl dies der ärztlichen Ethik widerspreche, kritisierte das Hilfswerk. Beschneidungen würden von Christen, Muslimen und Angehörigen anderer Religionen praktiziert, obwohl keine der Weltreligionen sie vorschreibe.

Anders als bei Jungen sei die Beschneidung bei Mädchen ein massiver Eingriff in die körperliche Unversehrtheit, betonte das Kinderhilfswerk. Die Opfer litten häufig ihr Leben lang an körperlichen und seelischen Problemen. «Immer wieder sterben Mädchen an den Folgen.» So seien Beschneidungen eine der Hauptursachen für die hohe Sterblichkeitsrate von Frauen bei der Geburt in den betroffenen Ländern.

Wieczorek-Zeul kündigt Arbeitsgruppe gegen Genitalverstümmelung an
Bundesentwicklungsministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul
(SPD) hat neue Schritte im Kampf gegen Genitalverstümmelung in Deutschland angekündigt. Noch in diesem Frühjahr sei die Gründung einer interministeriellen Arbeitsgruppe gemeinsam mit Nichtregierungsorganisationen vorgesehen, die sich mit der Problematik «intensiv» auseinandersetzen werde, erklärte die Ministerin am Donnerstag in Berlin. «Wir dürfen nicht aus falsch verstandener Toleranz die Augen davor verschließen», sagte Wieczorek-Zeul. «Körperliche Unversehrtheit und die Würde der Menschen sind Menschenrechte.»