Mehr als 300 junge Menschen starten Freiwilligendienst "kulturweit"

Raus aus der Komfortzone

Ein anderes Land kennen lernen, raus aus dem Alltag oder Arbeitserfahrung sammeln: Im September starten 318 Freiwillige mit «kulturweit» in die Welt. In der Zeit lernen die jungen Menschen auch viel über sich selbst.

 (DR)

Deutsch unterrichten an einer Schule in Georgien, Kulturveranstaltungen in Hanoi organisieren oder beim Radio in Namibia arbeiten – beim bundesweiten Freiwilligendienst "kulturweit" engagieren sich junge Menschen für Bildung und Kultur. Am Dienstag verabschiedete die Staatsministerin für internationale Kulturpolitik, Michelle Müntefering (SPD), einen neuen Jahrgang von 318 Freiwilligen zu ihren Projekten in die Welt.

Der Freiwilligendienst sei kein Reiseprogramm, sondern eine Chance, die Welt besser zu verstehen, betonte dabei die Präsidentin der Deutschen Unesco-Kommission, Maria Böhmer. "Die Verständigung über Grenzen hinweg ist besonders angesichts eines zunehmenden Nationalismus in der Welt unverzichtbar."

"Aus seiner Komfortzone heraustreten"

Ein Einsatz dauert sechs oder zwölf Monate. Die Grundphilosophie der Initiatoren: vorgefertigte Bilder im Kopf hinterfragen. Nach Ansicht der Leiterin des Freiwilligendienstes, Anna Veigel, steht die Lernerfahrung im Zentrum der Begegnung: "An anderen Orten der Welt laufen Dinge anders, aber genauso gut". Oft seien die Freiwilligen überrascht, wie viele Gemeinsamkeiten sie finden: Menschen in einem anderen Teil der Welt tragen die gleiche Kleidung, haben das gleiche Smartphone oder begeistern sich für dieselben Netflix-Serien.

"Es geht darum, aus seiner Komfortzone herauszutreten", sagt Marvin Müller. Nach dem Abitur unterrichtete er ein Jahr lang Deutsch an einer Schule in Bratislava, übte mit slowakischen Schülern die Aussprache, korrigierte Aufgaben. Kurz vorher habe er noch als Landesschülervertreter für die Abschaffung von Noten gekämpft. "Zwei Monate später saß ich in der Slowakei und habe selbst Tests korrigiert – das war schon komisch."

Herausforderungen habe es viele gegeben – an jeder sei er gewachsen, sagt Müller. Etwa eine Unterkunft finden, ohne Slowakisch zu können. "Ich habe versucht, in lokalen Facebook-Gruppen mit Google-Übersetzer zurecht zu kommen." Einige Übersetzungs-Pannen und Missverständnisse später sei er in einer Gastfamilie untergekommen.

Taxifahrer ohne Führerschein und spontane Heiratsanträge

Hannah Essing war bis August mit "kulturweit" in Armenien. Beim DAAD-Informationszentrum in Eriwan kümmerte sie sich um Social Media, plante deutschsprachige Karaokeabende oder bot Bewerbungs-Workshops an. Armenien mit all seinen Gegensätzen habe sie fasziniert. Vieles sei ähnlich wie in Deutschland, "und dann kam wieder etwas komplett anderes und ich war völlig fassungslos." Auch Kurioses habe sie erlebt: Taxifahrer ohne Führerschein, menschenleere Krankenhäuser oder spontane Heiratsanträge.

"Unser Programm kann sich jeder leisten", erklärt Veigel den Unterschied zu kommerziellen Anbietern von Freiwilligen-Einsätzen im Ausland. Neben Reisekosten, Sprachkurs und Versicherungen zahlt "kulturweit" monatlich einen Zuschuss von 350 Euro für Miete und Lebenskosten. Zudem nehmen alle Freiwilligen an einem pädagogischen Programm vor und nach dem Einsatz teil. Dabei sprechen sie über Ängste, globale Machtverhältnisse oder reflektieren die eigene Rolle am Einsatzort.

Lukas Praller nutzte den Freiwilligendienst in Bolivien zur beruflichen Orientierung nach dem Bachelor-Studium. Er habe viel ausprobieren können und sich weiterentwickelt. "Man lernt in dieser Situation etwas über seinen Charakter", sagt er. Bin ich abwartend oder eher offen, liebe ich Herausforderungen, wie gehe ich mit schwierigen Situationen um? Seit dem Freiwilligen-Einsatz könne er sich besser in andere hineinversetzen und auch sich selbst besser einschätzen.

Freiwilligendienst "kulturweit" seit 2009

Seit der Gründung von "kulturweit" 2009 sind rund 3.500 junge Menschen in Länder des globalen Südens, nach Osteuropa oder die GUS-Staatend gereist. Der Einsatz ist als Freiwilliges Soziales Jahr im Ausland organisiert und wird vom Auswärtigen Amt gefördert. Träger ist die Deutsche Unesco-Kommission. Sie arbeitet mit Partnern wie dem Goethe-Institut, der Deutschen Welle Akademie oder dem Deutschen Akademischen Auslandsdienst (DAAD) zusammen.

Ab März soll es eine zusätzliche Programmlinie "naturweit" mit den Schwerpunkten Umwelt und Natur geben. Für einen Freiwilligendienst ab September 2019 können Interessierte sich noch bis Dezember bewerben.

Von Anna Fries


Quelle:
KNA