Alternativer "Sommerurlaub" im Flüchtlingslager auf Lesbos

Masken, Rassismus und viel Dankbarkeit

150 Freiwillige aus Europa verbringen ihren Sommerurlaub auf der Insel Lesbos, unterstützen dort Flüchtlinge im Lager Moria. Angelika Wagner aus Würzburg ist schon zum zweiten Mal dort - trotz Elend und Anfeindungen.

Autor/in:
Roland Juchem
Flüchtlingslager auf Lesbos / © Angelos Tzortzinis (dpa)
Flüchtlingslager auf Lesbos / © Angelos Tzortzinis ( dpa )

"Heute hatten wir 750 Gäste in unserem Restaurant", berichtet Angelika Wagner spätabends. Das ist fast so etwas wie ein Rekord. Bislang waren jeweils zwischen 300 und 600 Flüchtlinge aus Moria den Einladungen gefolgt. In der Halle einer ausgedienten Olivenpresse hat die Gemeinschaft Sant'Egidio für den Monat August ein Restaurant eröffnet. Das luftige, ziegelsteingemauerte Gebäude liegt unterhalb des Flüchtlingslagers Moria, nördlich der Inselhauptstadt Mytilini.

Ab dem späten Nachmittag können dort Flüchtlinge in Schichten von 30 bis 45 Minuten ein Abendessen einnehmen - unter Einhaltung von Abstands- und Hygieneregeln. Die von dem aus 30 bis 40 Personen bestehenden Freiwilligenteam zubereiteten und angebotenen Menüs sind auf Kalorien, Proteine und Vitamine ausgelegt; denn Mangelernährung gibt es in den Lagern auch. Eigens ausgestellte Essenskarten dienen auch als Passierschein, bestätigen, dass jemand das Camp verlassen und dorthin zurückkehren kann.

"Sozialurlaub" auf Lesbos

Angelika Wagner ist eine von den 150 Freiwilligen aus Italien, Spanien, Polen, Ungarn, Frankreich, den Niederlanden. Auf Initiative der Gemeinschaft Sant'Egidio machen sie auf Lesbos einen "alternativen Sozialurlaub", Flug- und Hotelkosten tragen sie selbst. Wagner arbeitet sonst als evangelische Religionslehrerin und Schulseelsorgerin in Würzburg. Schon im vergangenen Jahr war sie in Moria; in diesem Jahr erschwert die Pandemie den Einsatz.

Auch wenn auf Lesbos selbst die Restriktionen wieder gelockert sind, bleibt das offizielle Flüchtlingslager abgeschottet. Dort leben derzeit 5.000 bis 6.000 Menschen. "In dieses kommen wir nicht", sagt Wagner. Wohl aber kommt sie in das inoffizielle Camp das sich in den Olivenhainen rund um das offizielle Lager ausgebreitet hat. Dort, so erzählt die Endfünfzigerin im Gespräch mit der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA), hausen weitere 9.000 bis 10.000 Menschen auf engstem Raum, vielfach im Dreck.

Die allermeisten, etwa 80 Prozent stammten aus Afghanistan, eine weitere Gruppe aus Syrien, aber auch Afrikaner und wenige Iraker sind dabei. Frust - vor allem wegen des Lockdown -, Traurigkeit, Resignation und auch Gewalt gehören zum Alltag. Frust und Gewalt zeigten sich den Helfern gegenüber kaum, sagt Wagner. Im Gegenteil, "die Menschen sind froh, uns zu sehen und freuen sich, wenn sie Gelegenheit haben, mal raus zu kommen".

Mehr als acht Stunden Arbeit

Der "Alternativurlaub" auf Lesbos wartet mit Arbeitstagen von mehr als acht Stunden auf. Außer den Abendessen bieten die Freiwilligen vormittags vor allem Kindern und Jugendlichen ein Freizeitangebot: Fußball und andere Ballspiele, Malen, Basteln ... "In den Camps gibt es nichts für die kleinen Kinder, manche von ihnen haben das Lachen verlernt", sagt Wagner. "Bei unseren Angeboten können sie endlich einmal wieder Kind sein." Es sei "unglaublich, wie viel Freude da aufkommt".

Wagner bekommt aber auch anderes mit. Es gebe "große Ablehnung und Rassismus; man muss schon sehr vorsichtig sein", sagte sie. Deswegen bemühe man sich auch um Kontakt und Freundlichkeit zur örtlichen Bevölkerung und zu den Behörden. Hin und wieder spüren die Freiwilligen die Ablehnung auch selbst, vor allem die Syrer, Afrikaner oder Afghanen unter ihnen, die schon früher nach Deutschland oder Italien kamen und dort seither leben.

Für die Teams sind diese Freiwilligen wichtige Übersetzer in einer Kommunikation, die sonst vielfach "mit Händen, Füßen und Augen geschieht", berichtet Wagner. Schutzmasken erschweren die dafür notwendige Mimik. Wichtiger als die Anfeindungen sind Angelika Wagner die positiven, freudigen und teils auch lustigen Erfahrungen.

Wagner: Man kann nicht so weiterleben wir vorher

"Es kommt von den Menschen so viel Freude und so viel Dankbarkeit zurück", sagt Wagner. Natürlich gebe es auch "bewegende und erschütternde Bilder, Berichte und Szenen". "Das hilft einem schon zu sehen, in welcher Welt wir leben", fügt sie nachdenklich hinzu.

Deshalb auch achten die Freiwilligen ständig auf besonders gefährdete Personen: alleinstehende Minderjährige, Familien, Frauen. Falls möglich sollen diese Menschen mittels eines humanitären Korridors nach Italien, Frankreich oder auch Deutschland ausreisen können. Diese Korridore betreiben meist kirchliche Hilfsorganisationen in Absprache und Kooperation mit Behörden vor Ort und in den Aufnahmeländern.

Insgesamt aber mache Europa zu wenig. "Es muss mehr passieren", sagt Wagner abschließend. "Wenn man diese Not selber sieht, kann man nicht so weiterleben wie vorher. Es ist unvorstellbar."


Quelle:
KNA