Martin Mosebach zur Lewitscharoff-Debatte

"Ich stelle hier Vernichtungsfreude fest“

 Die Büchnerpreisträgerin Sibylle Lewitscharoff hat die Reproduktionsmedizin für "abartig“ erklärt und bezeichnet Retortenkinder als "Halbwesen“. Der Schriftsteller Martin Mosebach über die folgende Debatte in Deutschland.

Martin Mosebach (dpa)
Martin Mosebach / ( dpa )

domradio.de: Wie haben Sie die Diskussion um Frau Lewitscharoff verfolgt?

Mosebach: Es war ein einhelliger Wutschrei, das fand ich sehr bedrückend. Keiner hat sich die Mühe gemacht, den Text wirklich zu lesen, in dem all das, was dann als empörend zitiert wurde, doch also sehr, sehr stark relativiert, sehr nachdenklich behandelt wurde, sehr abgewogen. Ich habe viel Böswilligkeit hier fest gestellt, als ob ein heiliges Gut des Fortschritts berührt worden sei, wenn man die Reproduktionsmedizin in Frage stellt und ein echtes Tabu gebrochen worden sei.

domradio.de: Wie erklären sie sich die ungeheure, leidenschaftliche Aufregung?

Mosebach: Ich stelle hier Vernichtungsfreude fest. Das ist auch eines der grausigen Erscheinungen des Internets. Das Internet offenbart das hässliche Gesicht der Freiheit – wir erleben Meinungsfreiheit als Vernichtungswillen des Mobs, die einzelnen Gestalten, die sich da regelrecht auskotzen. Die eigentliche Freiheit, die Meinungsfreiheit wird dadurch bedroht, speziell die Freiheit des Schriftstellers, der ja noch einmal anders argumentiert und argumentieren soll und muss als ein Parteipolitiker, ein Kirchenmann, ein Regierungssprecher. Man erwartet ja von Schriftstellern die nicht abgewogene Stellungnahme, man erwartet das Provozierende, das Exzentrische, das gehört ja zu einem Schriftsteller unbedingt dazu, aber wehe, es wird ein allgemeiner Meinungskonsensus angekratzt, dann kann so eine Schriftstellerexistenz zerstört werden.

domradio.de: Aber sie hat "Retortenkinder" als "Halbwesen" bezeichnet.

Mosebach: Sie hat diese Äußerung "Halbwesen“ eingekreist, sie könne nicht anders, sie hat gesagt, "das sind keine Halbwesen, aber mir ist das gruselig." Das war natürlich missverständlich formuliert, denn tatsächlich ist der in vitro gezeugte Mensch nun wahrlich kein Halbwesen, sondern das Problem besteht ja darin, dass er ein vollgültiger, vollständiger Mensch ist, dem unter Umständen eine große Lebenslast aufgebürdet wird, nämlich ein gewillkürtes Wesen zu sein und nicht ein Mensch, der sein Leben als Geschenk betrachten kann.

domradio.de: Sie hat sich ja entschuldigt für bestimmte Sätze. Wird die Debatte andauern?

Mosebach: Der verhängnisvolle Effekt der unbedacht provozierenden, scharfen emotionalen Worte von Sybille Lewitscharoff ist, dass in nächster Zeit dieses Thema überhaupt nicht mehr besprochen werden kann.

domradio.de: Sie haben vor Zeiten mit Ihrer Forderung eines Blasphemie-Verbots eine vergleichbare Aufregung ausgelöst. Wie nimmt ein Schriftsteller die wütenden Reaktionen darauf wahr? Fühlten sie sich damals verletzt?

Mosebach: Nein, überhaupt nicht. Ich wußte ja, dass ich mich damit nicht im Konsensus befinde. Ich kann nicht sagen, wie Frau Lewitschairff das jetzt erlebt? Sie ist ein leidenschaftlicher Mensch, durchaus auch unkontrolliert, sie ist von der Reaktion auch überrascht worden, besonders weil das Publikum in Dresden begeistert applaudiert hat, und die Rede sehr freundlich aufgenommen wurde. Sie ist dann aus allen Wolken gefallen, als zwei Tage später die Reaktion der Dramaturgen kam.

domradio.de: Sie meinen, die Reaktion war gesteuert?

Mosebach: Was da passiert ist, kann ich nicht genau sagen – aber es handelt sich schon um einen inszenierten Skandal – inszeniert von einem Zusammenwirken einer progressisitischen, den Fortschritt auf die Fahnen geschrieben habenden öffentlichen Meinung. Da wirken dann alle zusammen und da gibt es dann keinen Widerstand.

Das Interview führte Johannes Schröer.


Sibylle Lewitscharoff (dpa)
Sibylle Lewitscharoff / ( dpa )
Quelle:
DR