Martin Mosebach zu seinem Buch über die koptischen Märtyrer

"Der Glaube ist der Maßstab"

Im Februar 2015 wurd 21 christliche Gesieln von der Terrormiliz "IS" ermordet. Der Schriftsteller Martin Mosebach hat darüber ein Buch geschrieben. Im Interview spricht der Büchner-Preisträger über die Annäherung an ein ungewöhnliches Thema.

Buchcover "Die 21 - Eine Reise ins Land der koptischen Maertyrer" / © Rowohlt Verlag (epd)
Buchcover "Die 21 - Eine Reise ins Land der koptischen Maertyrer" / © Rowohlt Verlag ( epd )

KNA: Herr Mosebach, was hat Sie dazu bewogen, über die 21 Märtyrer von Sirte ein Buch zu schreiben?

Martin Mosebach (Schriftsteller): Es waren die Bilder von diesem Martyrium. An erster Stelle stand das Foto des abgetrennten Kopfes des toten Kiryollos. Und dann gab es das Video, das die Mörder hergestellt haben. Es war ein, man möchte sagen: künstlerisch, mit Formabsicht hergestelltes Video. Mit mehreren Kameras aufgenommen, farblich gestaltet, choreographiert, mit einer Schiene, die an den Opfern entlang gelegt war, die da knieten, für die Kamerafahrt.

Man hatte darauf geachtet, dass die Henker einen Kopf größer waren als die zum Tode Bestimmten. Ein abscheuliches Video-Kunstwerk, das aber zugleich Realität zeigte: ein Dokument, das die Standhaftigkeit derjenigen zeigt, die da geköpft werden sollen und zum Schluss ihr Bekenntnis zu Jesus Christus vernehmlich ablegen.

KNA: In der westlichen Kirche ist die Vorstellung des Martyriums, salopp gesagt, aus der Mode gekommen, obwohl es im vergangenen Jahrhundert wohl weltweit mehr christliche Märtyrer gegeben hat als in allen vorangegangenen Jahrhunderten. Oft dauert es lange, bis ein Martyrium - etwa eines Franz Jägerstätter oder von Erzbischof Oscar Romero – als solches anerkannt wird. Worauf führen Sie diesen unterschiedlichen Zugang im Osten und Westen zurück?

Mosebach: Tatsächlich löst das Phänomen des Martyrers, der ganz bewusst für Christus leidet, eine gewisse Verlegenheit in der gegenwärtigen Welt aus. Da tritt eine Unbedingtheit des Bekenntnisses hervor, die uns irgendwie ein bisschen peinlich ist. In einer Welt, in der Dialog, Toleranz, Konsens, Kompromiss bis hin zum Indifferentismus große soziale Werte sind, wirkt derjenige, der bis zum Tod bei seiner Sache bleibt, eigentümlich starrsinnig, unbeweglich, fanatisch, fast bedauernswert vernagelt – kein wirkliches Vorbild.

Aber für die Christen der frühen Jahrhunderte besaßen die Martyrer eine ganz eminente Funktion. Martyrer gab es bereits, bevor es das Neue Testament gab. Die Evangelisten haben eigentlich nichts anderes getan, als den Glauben der Martyrer aufgeschrieben und waren selber Martyrer. Dieser Glaube der Martyrer ist der Maßstab, an dem sich auch die moderne Bibelexegese messen lassen muss.

KNA: Unserer Vätergeneration hat die NS-Ideologie eingeredet, sie opferten sich. Heute behaupten die Dschihadisten, sie seien Märtyrer und kämen ins Paradies. Kann es gelingen, den christlichen Martyriums-Begriff, nachdem er ideologisch oder politisch besetzt und damit extrem diskreditiert wurde, wieder neu zu definieren?

Mosebach: Daran führt kein Weg vorbei. Denn Martyrer heißt ja nichts anderes als Zeuge. Und Zeugnis heißt in diesem Fall: Zeugnis ablegen für den Gottmenschen, der gelitten hat. Natürlich gibt es inzwischen die islamistische Pervertierung des Martyrer-Begriffs: Mörder und Selbstmordattentäter werden mit diesem Titel geehrt. Aber die Christen haben den Begriff nun einmal erfunden, und sie sollten auf dem Recht bestehen, ihn in ihrer Weise zu gebrauchen.

KNA: Glauben Sie, dass die 21 ein Bewusstsein von ihrem Martyrium hatten, oder haben sie sich sozusagen einfach im Gebet Gott überantwortet und über ihre eigene Rolle nicht geredet? Oder waren sie im Gegenteil gleichsam konditioniert von ihrer Gemeinde und in diese Vorstellung eingebettet?

Mosebach: Es wurde mir immer wieder gesagt: Das sind die Martyrer, und wir sind stolz auf sie. Aber wir alle sind dazu bereit, Martyrer zu sein. Der Erzbischof dieser Diözese sagte mir: "Hier lebt kein einziger Kopte, der bereit wäre, seinen Glauben zu verraten." Ein großes Wort, es lässt sich nicht nachprüfen, war aber mit Überzeugung gesprochen. Und eines stimmt: Die Martyrer, diese kleinen Bauern haben wirklich in einem sehr hohen Maß ein liturgisches Leben geführt.

Die Liturgie hat in ihrem Leben eine sehr große Rolle gespielt, und sie waren daran auch ausführend beteiligt als bischöflich bestallte Hymnensänger, die diese langen Litaneien und Hymnen auswendig vorgetragen haben. Und die Priester, die diese Menschen in Libyen besucht hatten, als sie noch nicht gefangen waren, haben mir gesagt, dass sie den großen Raum, in dem sie alle zusammen auf dem Boden geschlafen haben, in eine Kirche verwandelt hätten, wo sie jeden Abend gesungen und gebetet haben.

KNA: Sie haben eine ganz eigene Form des Zugangs gefunden, mit Elementen aus Reportage und Reflexion und Analyse. Würden Sie das als eine moderne Form von Hagiographie bezeichnen?

Mosebach: Ja, jedenfalls keine reine Form von Hagiographie, weil ich immer versucht habe, der Skepsis auch einen Platz zu lassen. Die gehört ja eigentlich in die Hagiographie nicht herein. Hagiographie im strengen Sinne ist eine Schrift gewordene Ikone. Das ist mein Buch nicht. Eher ein tastender Versuch, den Toten näherzukommen durch Betrachtung ihrer Lebensumstände, die es nicht zu idealisieren galt.

Mein Grundsatz war, über das, was ich hörte und sah, nicht zu urteilen, sondern es dem Leser anheim zu stellen, wie er sich dazu stellen möchte. Zum Beispiel in der Frage der vielen Wundererzählungen - die koptische Kirche ist nicht zu denken ohne einen sehr starken Wunderglauben, der sich keineswegs nur auf die Vergangenheit bezieht. Überhaupt erscheinen Vergangenheit und Gegenwart nicht so stark voneinander geschieden. Es gibt nicht diese Kluft zwischen unserer Gegenwart und der biblischen Zeit, die wir so stark empfinden.

Das Interview führten Andreas Öhler und Norbert Zonker.


Quelle:
KNA