Martin Mittelmeier "Adorno in Neapel"

Reisen bildet

"Eine süditalienische Sehnsuchtslandschaft wird zum Quellcode einer der erfolgreichsten und folgenreichsten Theorien der bundesrepublikanischen Nachkriegsgeschichte". Das schreibt Martin Mittelmeier in seinem Buch "Adorno in Neapel". In dem Buch beschreibt Mittelmeier, wie sich eine Landschaft in einen mächtigen philosophischen Entwurf verwandeln kann.

Martin Mittelmeier / © Olivier Favre
Martin Mittelmeier / © Olivier Favre

"Ich suchte nach einer Spur, die entschlüsselt, was hinter oder unter den Schriften von Adorno liegt," erzählt Martin Mittelmeier im domradio.de Interview. Auf Lanzarote habe er sich im Urlaub mit Adorno, seinem frühen Essay über Schubert, beschäftigt. Eine Kraterlandschaft leitet diese Betrachtung ein. "Die karge Vulkanlandschaft auf Lanzarote brachte mich auf die Idee, die Metapher bei Adorno ernst zu nehmen". Adorno reist in den 1920er Jahren an den Golf von Neapel, ein Reiseziel im Schatten des Vesuv, das damals von vielen Intellektuellen bevölkert ist. "Der Individualreisende Adorno will die Spuren der Geschichte sehen, die sich in die Landschaft eingegraben haben. Ein Vulkan ist dafür bestens geeignet. Bei einem Vulkan kann man nun wirklich nicht mehr leugnen, dass sich etwas gewaltiges ereignet hat, er ist geradezu das Mahnmal einer naturgeschichtlichen Katastrophe. Die liebliche Landschaft wurde zerrissen", schreibt Mittelmeier. Daraus entwicklet Adorno seine folgenreiche Theorie, in deren Zentrum eine Katastrophe steht, von der die Sehnsuchtslandschaft noch nichts wissen kann.

"Adorno in Neapel", ist eine Einladung, den berühmten, als schwierig geltenden Adorno neu zu entdecken. Mittelmeier erzählt von Neapel in den 1920er Jahren, er läßt die Atmosphäre unter den Intellektuellen dort lebendig werden. Wir erleben die Landschaft, Capri, das Meer, den Vulkan, das berühmte Aquarium und sind dabei, wenn Adorno dort Entdeckungen fürs Leben macht. Die schwer und streng anmutende Philosophie Adornos wird aus der Alltagserfahrung des Reisenden erfrischend plausibel.