Markus Lanz über Karfreitag, seine Heimat und seinen Glauben

"Das ist Teil meines Weltbildes"

Von seinem Dorfpfarrer in Südtirol hat Markus Lanz gelernt, wie Leute in den Bann gezogen werden. Im domradio.de-Interview spricht der Moderator über die wichtige Rolle der Kirche heute.

Markus Lanz bei domradio.de (DR)
Markus Lanz bei domradio.de / ( DR )

Am Ostermontag können Sie ab 12 Uhr im domradio noch mehr von Markus Lanz hören.

domradio.de: Sie haben mal gesagt, alles, was Sie gelernt haben, um diese Karriere im Fernsehen zu machen, hätten Sie im Kloster gelernt. Was sind denn die Tugenden, Fähigkeiten, Kompetenzen, die Sie dort gelernt haben, in Ihrer Zeit als Gymnasiast?

Markus Lanz: Zunächst mal ist es so, ich hab das ja gar nie so, ich hab das ja gar nie so geplant. Ich wollte auch gar nicht zum Fernsehen und es hat sich dann immer so ergeben, eins zum anderen und deswegen empfinde ich zunächst mal, weil man irgendwann beginnt, das zu analysieren, eine gewisse Dankbarkeit für vieles, was mir so widerfahren ist im Leben. Ich sag mal so, der liebe Gott hat manchmal einen harten rechten Haken und manchmal dann auch einen guten Tag und dann widerfährt einem etwas Schönes. So was es bei mir, ganz ganz häufig, sowohl das mit dem Haken, als auch das Andere und ich glaube, dass das, was ich dort gelernt habe, vor allen Dingen ist, sich selber nicht so wichtig zu nehmen, von der eigenen Bedeutsamkeit nicht so furchtbar überzeugt zu sein. Wenn man das beherzigt, dann kann eigentlich nicht mehr so viel schiefgehen.

Ich komme gerade aus Wien von "Wetten dass..." und da gab es einen Moment, der mir seitdem durch den Kopf geht: Ich kam von einem Gespräch mit Depeche Mode, mit Dave Gahan, einer der größten Popstars der Welt. Wir gingen dann danach durch die Katakomben runter und liefen durch einen langen dunklen Flur und am Ende dieses Flurs saß eine alte, kleine Frau. Die Art und Weise, wie sie da saß, das war eine Putzfrau und wie sie sich selber nannte, eine Klofrau. Die Art und Weise, wie sie da saß, zeigte, sie erwartet jetzt auch gar nicht, dass man mal mit ihr redet, dass man sie anspricht, sie guckte gar nicht hoch. Sie war so vertieft in ihr Buch und wartete auf den nächsten "Einsatz", sozusagen und saß da ganz alleine. Dann waren wir schon an ihr vorbei und dann bin ich wieder zurück, weil ich ihr Gesicht so faszinierend fand und hab sie dann gebeten, ein Foto von ihr zu machen. Das haben wir dann bleiben lassen, weil das Licht nicht gut war und so weiter.

Aber ich kam kurz mit ihr ins Gespräch und es war total anrührend mal zu hören, was sie so für ein Leben hat. Ich hab sie gefragt, wo sie herkommt. Sie hat erzählt, dass sie aus dem und dem Wiener Bezirk, sie war ursprünglich aus Niederösterreich und man merkte, da ist jemand, der ist zufrieden mit dem, was er da so hat. Sie machte einen ganz gelassenen und glücklichen Eindruck und hat mir dann das Buch gezeigt, in dem sie gerade las und sie ruhte in sich. Und ich dachte, mein Gott, wie viele von denen, die Du dann im Laufe der ganzen Veranstaltung treffen wirst, ruhen überhaupt gar nicht in sich und sind so viel privilegierter als diese kleine, alte Frau, die da saß. Das sind so diese Momente, die man sich nicht nehmen lassen sollte. Das sind so diese kleinen Dinge im Alltag, für die man immer noch einen Blick haben sollte und wenn man die hat, dann tun sich plötzlich Dinge auf und Türen auf und Tore auf, die sonst für immer verschlossen sind. Man muss nur ein bißchen gucken. 

domradio.de: Karfreitag - was für Erinnerungen haben Sie da? Wie gucken Sie auf so einen Festtag? 

Markus Lanz: Ich war immer froh, wenn es vorbei war. Sagen wir es mal so, weil man da jedes Jahr wieder diese Folterdinge nochmal kleinteilig erzählt und beschrieben bekommt und das verstört einen als Kind tatsächlich. Ich kenne auch Menschen, die sagen, ich konnte deswegen nie in eine Kirche gehen, ich kann das nicht sehen, wie ein Mensch an einem Kreuz hängt, mit Nägeln in den Füßen und in den Händen. Ich bin so in dieser Welt groß geworden, das ist Teil meines Weltbildes, aber deswegen hat mich das nicht größer irritiert, will ich sagen. Aber ich kann verstehen, dass einen das verstört. Aber vielleicht sind wir alle mittlerweile verweichlicht und können das nicht mehr so gut ab, das kann auch sein.

Ich sag mal so, die Generation meiner Eltern, die auf dem Bauernhof groß geworden sind und die teilweise sehr harte Dinge erlebt haben und auch sehr harte Dinge mit ansehen mussten, die waren natürlich auch hart im Nehmen und wir sind anders aufgewachsen und unsere Kinder erst recht. Das heißt aber nicht, dass die deswegen verweichlicht sind, sondern die sind einfach nur anders sozialisiert und das muss man dann auch irgendwann mal zur Kenntnis nehmen und dem Rechnung tragen und ich glaube schon, dass die Gefahr besteht, dass die das dann manchmal auch mit ihrer Klugheit, die die Kinder dann  teilweise haben, weil sie ja zunehmend auch besser ausgebildet sind und sich auch artikulieren können, dass die mit einer Mischung aus Faszination, aber auch Grauen dann teilweise draufgucken und sagen, Was ist das hier für eine Veranstaltung. Da muss man glaube ich, etwas aufpassen und die Dinge auch immer wieder mal dem Zeitgeist in einem positiven Sinne ein bißchen anpassen. 

domradio.de: Das ist dann natürlich auch die Sache, dass Tod und Leiden möglichst rausgeschlossen wird nach wie vor...

Markus Lanz: Wir klammern Tod und Leiden natürlich aus, das sagt man immer so. Das sagt auch das Klischee so. Ich bin mir da mittlerweile nicht mehr so sicher, ob das wirklich so ist. Ich hab da auch mal anders drüber gedacht. Ich führe zum Beispiel mit meinem Sohn sehr intensive Gespräche teilweise auch über den Tod auch, und zwar nicht, weil ich das möchte, sondern weil er das möchte, weil Kinder das in einem bestimmten Alter auch beschäftigt. Jeder von uns ist doch in Wahrheit mit dem Sterben, mit Verlust, mit Trauer, immer konfrontiert und da gibt es überhaupt kein Entkommen. Und sie erleben heute noch Menschen, die schlimme Dinge vor 70 Jahren im Krieg erlebt haben und denen schießt sofort das Wasser in die Augen, wenn sie nur einmal die richtige Frage stellen oder die Frage stellen, die sie dann an diesem Punkt berührt. Sie erleben Menschen, die vor 30, 20, 10, wie auch immer Jahren ihren Vater oder Mutter oder wen auch immer verloren haben. Und wenn sie die auf dem falschen Fuß erwischen, dann ist alles wieder da, das bricht von einer Sekunde auf die andere auf. Ich glaube, dass man da vorsichtig sein muss. Wir packen das schon in Teilen weg, aber in gewisser Weise ist das einfach ein dummes Klischee. Das stimmt so nicht, ich würde das bestreiten. 

domradio.de: Brauchen wir heute noch Kirche? 

Markus Lanz: Also wenn man sich einmal die Rolle eines Dorfpfarrers zum Beispiel ansieht, das ist ja so die kleinste Einheit. Wenn man sich die anschaut, welche Rolle spielt ein Dorfpfarrer? Ich fahre oft durch diese Dörfer zum Beispiel in Südtirol, meiner Heimat. Mir tut es immer in der Seele weh, wenn ich weiß, ok, in dem Pfarrhaus, in dem Vidum, in dem, in dem und in dem, da wohnte mal der, der und der. Ich kannte die alle, und da wohnt jetzt keiner mehr, da ist keiner mehr drin, da kommt mal der Aushilfspfarrer vorbei. Im Grunde ist das eigentlich tot. Das ist schade, weil ich glaube, dass der Pfarrer, der in der Mitte seiner Gemeinde dort lebte, natürlich ein Seelsorger war, im besten Sinne. Das war auch ein Therapeut. Dann noch mal mit einem religiösen Hintergrund und noch einer anderen Dimension, die sich dahinter noch einmal verbirgt und durchaus auch dogmatisch teilweise. Aber das war ein Ansprechpartner für jede und für jeden, der irgendwo was auf seiner Seele hatte. Deswegen auch Seelsorger, das ist eigentlich ein viel schöneres Wort als Pfarrer, finde ich.

Das fällt jetzt weg und dann übernehmen zunehmend diese Aufgabe professionelle Therapeuten, die vielleicht dafür besser ausgebildet sind, aber die Rolle des Dorfpfarrers war an dem Punkt wichtig. Gleichzeitig haben wir, finde ich, zugelassen, dass dieser Dorfpfarrer, und das weiß ich aus vielen Gesprächen mit Priestern, der einsamste Mensch in so einer Gemeinde. Es gibt keinen, der einsamer ist. Wenn die anderen abends nach Hause gehen zu ihren Familien und er dann auch seine Sprechstunde zu Ende hat, seinen Religionsunterricht gemacht hat, dann geht der alleine nach Hause und sitzt dann da. Dann kann er fernsehen oder beten oder meditieren oder was auch immer, oder sich auf die nächste Predigt vorbereiten, aber der ist einsam. Und ich glaube, wir haben die teilweise einfach dann auch ihrem Schicksal, so nenne ich das jetzt einfach mal, überlassen. Wir haben die da alleine gelassen. Und da hat auch Kirche eine Aufgabe. Das kann man eigentlich Menschen so nicht mehr zumuten.

(Das Interview führte Birgitt Schippers.)