Stellt Facebook den Profit über das Wohl der Nutzer?

"Man regt sich gerne mit auf"

Die Whistleblowerin und Ex-Mitarbeiterin, Frances Haugen hat in den USA über ihren früheren Arbeitgeber Facebook ausgesagt. Dieser fördere absichtlich Inhalte, um Menschen wütend zu machen, sagte sie. Wie ist so eine Aussage einzuordnen?

Facebook auf Smartphone und Computer / © PK Studio (shutterstock)
Facebook auf Smartphone und Computer / © PK Studio ( shutterstock )

DOMRADIO.DE: Hass für Geld, so könnte man das zusammenfassen, was Facebook vorgeworfen wird. Macht dieser Vorwurf Sinn für Sie oder ist die Kritik unlogisch?

Bruder Paulus Terwitte (Kapuzinerpater und Medienexperte): Die Kritik ist vollkommen berechtigt. Man weiß, dass Facebook sein Geld mit Werbung verdient, mit Menschen, die sich möglichst lange bei Facebook aufhalten. Und dann muss man Menschen interessieren. Sobald eine Erregungswelle ausgelöst wird, wird natürlich dafür gesorgt, dass sehr viele Menschen darauf reagieren.

Ich habe das selber auch schon erfahren, Hasswellen gegen mich, aber auch Solidaritätsbekundung. Das gibt es auch auf der anderen Seite. Erregung über Wunderbares und super Gutes gibt es auch. Aber natürlich ist das Böse so, dass es besonders interessiert, wie bei einem Unfall. Da bleiben Leute stehen, da gibt es Menschen, die das filmen müssen, was man ja gar nicht verstehen kann.

Man möchte das beobachten und man erregt sich dann gerne mit und das freut Facebook, weil dann noch mehr Werbung geschaltet werden kann und noch mehr bewiesen werden kann, wie wichtig man ist.

DOMRADIO.DE: Was muss die US-Regierung Ihrer Meinung nach tun, um die Macht von Facebook zu begrenzen? Was kann die EU-Ebene vielleicht machen?

Bruder Paulus: Ich glaube, dass es wichtig ist, dass Facebook auferlegt wird, nach ethischen Wertmaßstäben die Nachrichtenverbreitung zu beurteilen. Und da kommen wir natürlich an Grenzen. Der freie Journalismus ist ein hohes Gut, die Freiheit, aber auch die freie Meinungsäußerung.

Das Wichtigste wäre vor allen Dingen, dass die Authentizität der einzelnen Absender gesichert wird. Das wäre das Erste, eine Ausweis-Qualitätssicherung, dass jeder, der sich anmeldet, sich als sich selbst beweisen muss. Aber das kostet natürlich Geld. Das vermeidet ein Konzern.

Natürlich ist die Anonymität bis jetzt ein großes Geldkapital, auch für Facebook und für viele, viele andere Internetanbieter, in denen nicht nur mit Hass Geld verdient wird, sondern auch mit Pornografie. Wir kennen das vom Darknet. Hier sind staatliche Regulierungen unbedingt erforderlich.

Das Erste und Beste wäre: Du musst dich ganz und gar, mit Ross und Reiter, Geburtsdatum, Straße und so weiter zeigen.

DOMRADIO.DE: Welche Möglichkeiten haben die Nutzerinnen und Nutzer, uns nicht durch Hass anstacheln zu lassen?

Bruder Paulus: Wenn ich mich irgendwo mit meinem Klarnamen anmelde, dann stehe ich zu dem, was ich meine und sage. Viele Leute melden sich anonym an, weil sie die Kritik aus der eigenen Umgebung nicht hören wollen, weil sie da, wo sie leben, als ein ganz netter, bürgerlicher und christlicher Mensch gelten wollen.

Es gibt Menschen, die sich aufgrund der Versuchung der Anonymität eine zweite Identität, eine dritte und vierte zulegen und dann versuchen, auf der anderen Seite des Zaunes herumzugrasen. Das sind ganz uralte Versuchungen, sich woanders ganz anders zu verhalten als zu Hause.

Auch wenn sie durch Frankfurt gehen, sehen sie am nächsten Morgen eine riesen Müllhalde von Leuten, die hier zu Besuch waren und den Müll und Dreck einfach hinter sich haben liegen lassen, was sie sich natürlich zu Hause im Dorf nie erlauben würden.

DOMRADIO.DE: Kommen wir noch auf einen anderen Aspekt zu sprechen: Junge Menschen im Teenageralter sehen auf der Plattform Instagram des Facebook-Konzerns Fotos mit unrealistisch perfekt aussehenden Menschen. Damit bekommen vor allem viele weibliche Teenager eine falsche Vorstellung von ihrem eigenen Körper. Was würden Sie den jungen Menschen und ihren Eltern raten?

Bruder Paulus: Ich glaube, da ist sehr viel Geduld gefragt. Denn der schnelle Blick, die schnelle Erregung, der schnelle Erfolg, all das ist etwas, was sich sehr schnell in Schall und Rauch auflöst. Da braucht es ein Training an verlässlichen Beziehungen.

Wenn ich allerdings sehe, dass schon junge Mütter, wenn sie mit ihren Kindern am Spielplatz sind, statt den Blick auf die Kinder zu werfen, ständig mit dem Smartphone unterwegs sind oder wenn es Familienfeiern gibt, an denen ich manchmal teilnehme, wo während der Hochzeitsgesellschaft die Leute in ihr Smartphone reinglotzen, dann merkt man einfach, dass die Menschen offensichtlich unfähiger geworden sind, dem anderen in die Augen zu schauen. Sie scheuen dann auch den kritischen Blick.

Es ist das Miteinander der Menschen, das ich im Blick des anderen erkenne. Dann muss ich darauf reagieren. So werden wir eigentlich zu Menschen. "Ich" wird zum "Du" und das "Du" braucht nun einmal Körper, Seele, Geist, damit wir vollkommen erfassen und vollkommen erfasst werden.

Deswegen müssen Jugendliche von Anfang an geschult werden, dass das ein Spiel wie "Mensch ärgere dich nicht" ist. Auch das müssen Kinder lernen, wenn man verloren hat, dass man dann nicht das Leben verloren hat. Das ist halt ein Reifungsgrad.

Das Interview führte Tobias Fricke.


Bruder Paulus Terwitte im Portrait / © Norbert Demuth (KNA)
Bruder Paulus Terwitte im Portrait / © Norbert Demuth ( KNA )

Frances Haugen, ehemalige Facebook-Mitarbeiterin und Whistleblowerin / © Alex Brandon/AP (dpa)
Frances Haugen, ehemalige Facebook-Mitarbeiterin und Whistleblowerin / © Alex Brandon/AP ( dpa )
Quelle:
DR