Machtkampf zwischen Erdogan und Gülen

Unterschiedliche Wege zur islamisch geprägten Gesellschaft

In ihrem Ziel sind sich der Prediger und der Politiker einig: Sie wollen eine "Scharia in modernem Gewand", wie ein deutscher Experte zugespitzt formuliert. Doch zwischen Erdogan und Gülen tobt ein Machtkampf.

Autor/in:
Wiebke Rannenberg
Wohin steuert die Türkei? / © Deniz Toprak (dpa)
Wohin steuert die Türkei? / © Deniz Toprak ( dpa )

Das Ziel ist gleich, aber der Weg unterschiedlich. Das ist der Tenor von deutschen Experten, die sich zu den Kontrahenten Recep Tayyip Erdogan und Fethullah Gülen äußern. Das wechselhafte Verhältnis ist im Westen wieder in den Fokus gerückt, seitdem der türkische Präsident den islamischen Prediger für den Putschversuch verantwortlich macht - und massenhaft Gülen-Anhänger in Justiz, Verwaltung, Schulen und Militär suspendieren, entlassen oder verhaften lässt. Auch in Deutschland beklagen Gülen-Anhänger Bespitzelung und Verfolgung.

Undurchsichtig ist aber auch für die Experten, ob tatsächlich Gülen-Anhänger am Putsch beteiligt waren und ob der in den USA lebende Prediger etwas wusste. "Wir tappen alle im Dunkeln", fasst Günter Seufert von der Stiftung Wissenschaft und Politik die Lage zusammen.

Beide eint die Vision einer islamisch geprägten Gesellschaft

"Die beiden verbindet die Vision einer islamisch geprägten Gesellschaft", sagt Friedmann Eißler, Islam-Referent bei der Evangelischen Zentralstelle für Weltanschauungsfragen dem Evangelischen Pressedienst (epd). Gülen selbst wähle zwar sehr offene Formulierungen, aber im Grunde verfolge er für die Türkei eine "Scharia in modernem Gewand". Und "zugespitzt ist das bei Erdogan dasselbe", sagt Eißler und verweist auf Entwicklungen wie die Abschaffung des Kopftuchverbots und die Einführung des Alkoholverbots auf öffentlichen Plätzen.

Einen "grundlegenden Unterschied" in der Ideologie sieht Peter Heine, bis 2009 Professor für Islamwissenschaften an der Berliner Humboldt-Universität. "Während Erdogan schlussendlich einen sunnitisch-türkisch geprägten Staat zum Ziel hat, versteht sich Gülen als Laizist, der eine Trennung von Religion und Staat propagiert", hat er noch vor den aktuellen Ereignissen in der Juli-Ausgabe der "Herder-Korrespondenz" geschrieben.

Unterschiedliche Wege zum Ziel

Andere verweisen auf unterschiedliche Wege: Der Politiker Erdogan setze seine Ideen von oben nach unten über Parteien und Politiker durch. Der Prediger Gülen arbeite von unten nach oben. Er hat den Marsch durch die Institutionen gewählt, vor allem über die Bildung.

Weltweit existieren Tausende von Gülen-Anhängern betriebene Schulen und Nachhilfeinstitute. Immer wieder wird Gülens Aussage "baut Schulen, keine Moscheen" zitiert. Dabei sei für beide "die Staatsform zweitrangig", sagt Eißler.

Gülen hat immer wieder betont, er sei für die Demokratie. Nach dem Putschversuch bezeichnete Ercan Karakoyun, Geschäftsführer der deutschen gülennahen "Stiftung Dialog und Bildung", die Bildungsbewegung als "Teil einer aktiven Zivilgesellschaft, die sich für Demokratie und Menschenrechte einsetzt".

Gülen sei in die Rolle eines muslimischen Demokraten geschlüpft, schreibt der Türkei-Experte Seufert im Sammelband "Die Gülen-Bewegung (Hizmet)" der Evangelischen Zentralstelle. Eißler hingegen sieht eine "Demokratiedistanz": Der Bildungsbegriff Gülens zum Beispiel ziele nicht auf Konfliktfähigkeit, sondern auf Wissen, mit dem die islamischen Grundwerte in der Gesellschaft gestärkt werden könnten.

Kampf um die Macht

Einig sind sich die meisten aber in der Erklärung dafür, wieso die einstigen Weggefährten Erdogan und Gülen zu Feinden wurden: Es ist ein Kampf um die Macht. Ein Experte formuliert die Frage so: "Wer hat das Sagen im politischen Islam?"

Das war bis vor einigen Jahren noch anders. Nachdem Gülen nach dem Rücktritt des islamistischen Ministerpräsidenten Necmettin Erbakan und einer Klage gegen ihn 1999 in die USA geflohen war, tat er sich mit Recep Tayyip Erdogan und seiner neuen AKP zusammen. Bis 2010 förderte der damalige Ministerpräsident Erdogan die Gülen-Anhänger in Justiz und Polizei - weil er die Macht des säkular eingestellten Militärs brechen wollte.

Die Missstimmung begann 2010 mit Erdogans Agieren gegen Israel, das Gülen nicht mitmachen wollte. Im Dezember 2013 schließlich starteten Gülen nahestehende Staatsanwälte Korruptions-Ermittlungen gegen Minister. Mit massenhaften Verhaftungen von Gülen-Anhängern nach dem Putsch und der Forderung, die USA solle Gülen ausliefern, hat der Machtkampf nun einen neuen Höhepunkt erreicht.


Quelle:
epd