Londoner Diakon zur Parlamentswahl in Großbritannien

"Enges Rennen"

Geht die Rechnung von Premierministerin Theresa May auf? Die letzten Umfragen vor der Parlamentswahl in Großbritannien sehen ein enges Rennen um die Downing Street voraus. Der Londoner Diakon Stephan Arnold beurteilt es ähnlich.

Wahllokale in Großbritannien geöffnet / © Isabel Infantes (dpa)
Wahllokale in Großbritannien geöffnet / © Isabel Infantes ( dpa )

domradio.de: An diesem Donnerstag wird in Großbritannien ein neues Parlament gewählt. Theresa May von den konservativen Tories lag in den Umfragen immer vorn, Labour-Chef Jeremy Corbyn wurde eher belächelt. Wie sieht das jetzt aus? Wen sehen Sie an der Spitze?

Stephan Arnold (Diakon der deutschsprachigen katholischen Gemeinde St. Bonifatius in London): Das ist schwer zu sagen. Ich weiß es nicht. Es ist erstaunlich, dass der Vorsprung laut Umfragen so zusammengeschmolzen ist. Es kann eine Überraschung geben, aber das wird man nach der Wahl sehen.

domradio.de: Beeinflussen die Anschläge der vergangenen Wochen die Wahl?

Arnold: Ja. Aber interessanterweise in eine Richtung, die man nicht erwartet hat. Normalerweise wählen die Menschen nach Anschlägen häufig die Stabilität, also diejenigen, die an der Regierung sind. Aber Theresa May war sechs Jahre lang Innenministerin bevor sie Premierministerin wurde, und das könnte ihr jetzt zum Verhängnis werden. Sie hat in ihrer Zeit als Innenministerin 20.000 Stellen bei der Polizei abgebaut. Die Polizei hat auch immer darauf hingewiesen, dass sie zu wenig Personal haben. Jetzt gab es diese Anschläge. Da zieht die Bevölkerung unter Umständen schon einen Zusammenhang her. Das spielt sicherlich eine Rolle, dass ihre Umfragewerte so stark gesunken sind.

domradio.de: Premierministerin May ist im Kampf gegen militante Extremisten zur Schwächung der Menschenrechte bereit. Wie wird so ein Vorhaben in der Bevölkerung und in den christlichen Gemeinden aufgenommen?

Arnold: Das ist eine Aussage, in der sich Populismus widerspiegelt. Es finden sich immer einige, die solchen Aussagen zujubeln. Aber ich finde, dass dies gar nicht geht. Wenn man von diesen Standards zurückgeht, dann bewegt man sich auf derselben Ebene wie die Terroristen.

domradio.de: Labour-Kandidat Jeremy Corbyn hat im Wahlkampf gesagt: "Wir bieten den Menschen etwas anderes als die Konservativen: Wir bieten ihnen Hoffnung." Wollen die Menschen diesen Wechsel oder ist das Wunschdenken?

Arnold: Die Menschen haben schon Sorgen. Am Anfang war der Wahlkampf vom Brexit überschattet. Da ging es nur darum, ein starkes Mandat zu bekommen. Es ist der Labour-Partei gelungen, auch innenpolitische Themen dominant auf die Agenda zu setzen. Über den Brexit wird eigentlich im Moment hier kaum gesprochen. Es geht um das Gesundheitswesen, um die Bildung und die Unterstützung für die ärmeren Schichten der Bevölkerung. Da ist es schon so, dass die Konservativen einige Einschnitte wollen, die Labour so nicht macht. Es ist Corbyn gelungen, dies alles zum Thema zu machen, so dass die Menschen auch darüber nachdenken.

domradio.de: Im Zuge der Neuwahlen war auch immer mal wieder die Rede von einem zweiten Brexit-Referendum. Sehen Sie da viele Befürworter?

Arnold: Die Befürworter sind vor allem die Liberal-Demokraten. Da muss man sehen, wie die Wahl ausgeht und ob sie mit an die Regierung kommen, weil keine andere Partei die absolute Mehrheit hat. Dann kann es schon sein, dass dieses Thema noch einmal vorgeholt wird. Wie wahrscheinlich das ist, kann man schwer vorhersehen. Im Moment ist es auch so, dass selbst Labour sagt, die Bevölkerung habe entschieden und man gehe den Austrittsweg. Ob es noch einmal zu einer Abstimmung über das Ergebnis kommt, wird man sehen.

Das Interview führte Tobias Fricke.


Premierministerin Theresa May und der Labour-Chef Jeremy Corbyn / © Hannah Mckay/Matt Dunham (dpa)
Premierministerin Theresa May und der Labour-Chef Jeremy Corbyn / © Hannah Mckay/Matt Dunham ( dpa )
Quelle:
DR