Liturgiewissenschaftler im domradio zum Sinn der Adventszeit

Mehr als "Vor-Weihnachten"

Nur drei Wochen dauert in diesem Jahr der Advent, die erste ist bereits vorüber. Wenig Zeit also - aber wofür? Die letzten Vorbereitungen vor dem Weihnachtsfest? Ist der Advent nicht mehr als eine "Vor-Weihnachtszeit"? "Leider wird er heute fast nur noch so verstanden", bedauert der Erfurter Liturgiewissenschaftler Prof. Benedikt Kranemann im domradio-Interview. "Schade, denn der Advent ist eine interessante, weil sehr komplexe Zeit."

 (DR)

domradio: Alle sprechen heute vom Advent als der „Vorweihnachtszeit". Kommt dabei der Advent als Advent überhaupt noch zur Geltung?  

Prof. Benedikt Kranemann: Der Advent tritt immer mehr in den Hintergrund und wird durch die Vorweihnachtszeit faktisch verdrängt. Das ist schade. Der Advent ist eine interessante, weil sehr komplexe Zeit. Das macht schon ein Blick in die Geschichte deutlich. Der Advent wird seit ungefähr 1000 Jahren gefeiert. Und er hat von Anfang an unterschiedliche Akzente getragen. In Spanien diente er der Vorbereitung auf die Taufe. Aus Irland stammt das Motiv: Erwartung auf die Wiederkunft Christi. Und in Rom finden wir sehr stark die Vorbereitung auf das Weihnachtsfest. Die Adventssonntage, wie wir sie heute kennen, setzten sich seit dem Hochmittelalter durch. Auch heute ist der Advent noch unterschiedlich akzentuiert. So dient die erste Hälfte der Vorbereitung auf die zweite Wiederkehr Christi. Und ab dem 17. Dezember feiert die Kirche dann wesentlich intensiver die Vorbereitung auf das Weihnachtsfest. Also eigentlich: alles andere als eine reine Vorweihnachtszeit, wie wir sie heute erleben.     

domradio: Vor allem die letzten Adventstage sind heute durch eine gewisse „vorweihnachtliche Hetze" bestimmt. Inwiefern verträgt sich diese Hast mit dem christlichen Zeitverständnis des Advents?

Prof. Benedikt Kranemann: Hetze sollte eigentlich nicht den Advent prägen. Der Advent ist eine Zeit der Besinnung und Ruhe - die christliche Liturgie bietet dazu auch heute noch eine Möglichkeit. Hier finden wir sehr ausdrucksstarke Texte aus dem alten und neuen Testament. Da lohnt es sich, einmal genauer hinzuhören. Man kann sagen: Jeder Sonntag des Advents hat ein eigenes Thema. Wir haben sehr eindrückliche Lieder in der Adventszeit. (Anm. Red.: Hören Sie hierzu) Außerdem haben wir die großen Heiligenfeste - vom Nikolaus bis zum Hochfest der Gottesmutter Maria am 8. Dezember. Das sind Fest, die den festen Zeitlauf durchbrechen und uns mitten im Alltag des Advents mit Geschichten konfrontieren, die einer Besinnung lohnen. Man könnte sagen: Eine reiche Zeit wie der Advent macht auch ein Stück weit die christliche Deutung von Zeit sichtbar. Eine Zeit, die nicht nur dahin läuft, sondern eine Zeit, die gefüllt ist und gedeutet wird.

domradio: Häufig heißt es: Der Advent ist eine Vorwegnahme des „Zweiten Adventes"…

Prof. Benedikt Kranemann: Theologisch würde man sagen: Man spricht im Advent und seiner Liturgie sehr nachdrücklich von der Hoffnung, dass Christus wiederkehren wird, um die Welt zu erlösen. Die gesamte Liturgie ist von der Erwartung hin auf diese „Zweite Wiederkunft" Christi geprägt. Eine Perspektive der Hoffnung also.

Hören Sie hier das vollständige Interview Prof. Benedikt Kranemann.