Liturgiewissenschaftler Amon zur Liturgiereform vor 40 Jahren

"Christus sollte in den Mittelpunkt rücken"

Vor 40 Jahren, am 30. November 1969, trat das neue Römische Messbuch in Kraft. Seither feiern die Katholiken in aller Welt die Messe in ihrer jeweiligen Landessprache, die Altäre wurden näher zum Volk gerückt, der Charakter der Feier veränderte sich. Prälat Eberhard Amon, Leiter des Deutschen Liturgischen Instituts in Trier, erläutert im Gespräch mit der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA) die Bedeutung der Liturgiereform und spricht auch über die neue Regelung zum alten Ritus durch Papst Benedikt XVI.

 (DR)

KNA: Herr Amon, wie entwickelte sich die Reform der katholischen Liturgie? Was ging ihr voraus?

Amon: Die liturgische Erneuerung hatte schon vor dem Zweiten Vatikanischen Konzil eine jahrzehntelange Geschichte, die weit ins vorige Jahrhundert zurückreicht. Es gab ein wachsendes Bedürfnis von Gläubigen und Priestern, die Heilige Messe in einer volksnaheren Form zu feiern. Zwischen den beiden Weltkriegen wurde dieser Wunsch nach einer lebendigen Beteiligung der Gemeinde dann sehr stark. Das betraf vor allem das Lateinische, das natürlich die wenigsten verstanden.

Eine Vorreiterrolle spielten dabei die Katholiken im deutschen Sprachraum. Hier entstand schon damals die sogenannte Gemeinschaftsmesse, bei der die lateinischen Texte auch in deutscher Übersetzung vorgetragen wurden. Das stieß teilweise auf Bedenken mancher Kirchenleitungen und führte schließlich zu einer regelrechten Krise um die Liturgische Bewegung. Papst Pius XII. begegnete ihr 1947 mit der Enzyklika Mediator Dei, die eine stärkere Beteiligung der Gläubigen bei der Messfeier guthieß. Damit war der Weg frei für eine Erneuerung der Liturgie, die dann in die Liturgiereform des Zweiten Vatikanum einmündete.

KNA: Die deutlichsten Veränderungen waren dabei die Verwendung der Volkssprachen, das Zelebrieren des Priesters mit dem Gesicht zur Gemeinde und die aktive Beteiligung von Laien an der Messfeier. Wurde das auch theologisch begründet?

Amon: Ja, es ging um viel mehr als eine bessere Verständlichkeit der Texte und Rituale. Nach dem alten Verständnis war Liturgie allein das Tun des Menschen vor Gott; der Kult und die Verherrlichung Gottes standen im Mittelpunkt. Das Konzil stellte fest, dass vor allem das Handeln Gottes am Menschen in der Liturgie zum Ausdruck kommen muss. Sie soll Christus in der Mitte der Gemeinde hervortreten lassen und nicht in die Ferne rücken. Darin liegt ja der Sinn der aktiven Teilhabe der Gläubigen am Gottesdienst und der Zuwendung des Priesters zur Gemeinde. Es bedeutet absolut nicht, dass damit die Verehrung Gottes in den Hintergrund tritt, vielmehr wird die Verehrung Gottes als Antwort der Gemeinde in Lob und Dank und Bitte erst recht lebendig und erfahrbar.

Wichtig war fortan das Prinzip des Dialogs zwischen Gott und den Menschen. Auf ihm beruht jede gottesdienstliche Feier. So spricht etwa Gott in den Lesungen der Heiligen Schrift zu seinem Volk, das mit dem Bekenntnis des Glaubens und den Fürbitten antwortet.

KNA: Die Reform der Liturgie wurde von den Konzilsteilnehmern mit überwältigender Mehrheit angenommen. Doch eine ultrakonservative Minderheit, allen voran die Piusbruderschaft, wirft ihr bis heute vor, die Traditionen der katholischen Kirche zerstört zu haben.
Amon: Das Konzil wollte ausdrücklich eine Erneuerung der Liturgie. Bei deren Umsetzung nach dem Konzil entwickelte sich aber dann eine ganz eigene Dynamik, die sich bisweilen sozusagen selbst überholt hat. So wurden die Möglichkeiten zur Kommunion unter beiden Gestalten immer mehr erweitert, bis sie praktisch in allen Messen möglich war. Ähnliches gilt für den Gebrauch der Volkssprache.

Was die Traditionalisten betrifft, ist festzuhalten, dass die Liturgiereform ja keineswegs ihr entscheidender und wichtigster Kritikpunkt am Zweiten Vatikanum ist. Sie stören sich viel mehr an der dort verkündeten Religions- und Gewissensfreiheit sowie am neuen Ökumenegedanken.

KNA: Was halten Sie von dem Argument, dass die Abkehr von der strengen Feierlichkeit der Tridentinischen Messe mitverantwortlich sei für leere Kirchen?
Amon: Das ist sicherlich falsch und ignoriert völlig die starke Bewegung für eine liturgische Erneuerung vor dem Konzil. Die Zahl der Kirchenbesucher wäre eher noch geringer, wenn die Liturgiereform nicht stattgefunden hätte. Die totale Säkularisierung und Individualisierung der Gesellschaft - der eigentliche Grund für die negative Entwicklung - wäre durch die Beibehaltung der Tridentinischen Messe sicherlich nicht aufgehalten worden.

KNA: Andere Kritiker haben die Aufwertung des vorkonziliaren Ritus durch Benedikt XVI. im Jahr 2007 als Zurückweichen oder gar bewusstes Zurückrudern hinter das Erreichte empfunden. Wie sehen Sie das?
Amon: Das kann man so nicht sagen. Der Papst hat den Priestern erlaubt, die alte Form der Messe ohne Genehmigung des Ortsordinarius - aber auch ohne Gemeinde - zu feiern. Wenn Gruppen innerhalb einer Pfarrei oder einer Seelsorgeeinheit den Wunsch haben, die Messe in der außerordentlichen Form des römischen Ritus zu feiern, soll diesem Wunsch nach Möglichkeit entsprochen werden. Im Übrigen gilt ganz klar: Es gibt eine ordentliche Form des Ritus, nämlich die des Vatikanischen Konzils, und eine außerordentliche Form, die auf das Konzil von Trient zurückgeht.

KNA: Es gab Berichte, dass deutsche Bischöfe der Regelung eher zögerlich gegenüberstehen. Wie hat sich der Umgang mit der alten Messe inzwischen entwickelt?
Amon: Die Entwicklung in den einzelnen Bistümern verläuft unterschiedlich. Insgesamt hat die Regelung keine wirklich tiefgreifenden Veränderungen gebracht. Die Zahl der Feiern nach außerordentlichem Ritus ist keinesfalls dramatisch gestiegen.

Das Interview führte Christoph Schmidt.