Liturgieexperte warnt vor Kirchenpolitik im Gottesdienst

"Geht am Kern von Liturgie vorbei"

Erkennungsmerkmal "Alte Messe"? Gegenwind für Papst Franziskus kommt derzeit aus den USA. Die Kritiker dort eint zudem die Vorliebe für die Feier der Messe im außerordentlichen Ritus. Der Theologe Marco Benini sieht darin ein Problem.

Blick ins Missale Romanum / © travelarium.ph (shutterstock)
Blick ins Missale Romanum / © travelarium.ph ( shutterstock )

DOMRADIO.DE: Papst Franziskus hat 2021 das Motu proprio seines Vorgängers Benedikt XVI. rückgängig gemacht, der ja die Zulassung der so genannten Alten Messe stark vereinfacht hatte. Nun sind die Hürden für die Feier der Messe nach dem Messbuch von 1962 – und damit vor der Liturgiereform – deutlich höher. Täuscht der Eindruck oder sind vor allem US-amerikanische Gläubige darüber verärgert? 

Prof. Dr. Marco Benini Lehrstuhl für Liturgiewissenschaft an der Theologischen Fakultät Trier / © Philipp Lürken (privat)
Prof. Dr. Marco Benini Lehrstuhl für Liturgiewissenschaft an der Theologischen Fakultät Trier / © Philipp Lürken ( privat )

Prof. Dr. Marco Benini (Lehrstuhl für Liturgiewissenschaft; Theologische Fakultät Trier, Leitung
Wissenschaftliche Abteilung des Deutschen Liturgischen Instituts in Trier): Es stimmt vor allem für die USA oder auch für Frankreich. In den Vereinigten Staaten hat die Messe im außerordentlichen Ritus eine Popularität erreicht, die es in Deutschland nicht gab, sodass Papst Franziskus sich genötigt sah, hier einzugreifen. Es ist dadurch zu einer Polarisierung in der US-Kirche gekommen, die weiterhin besteht. 

Natürlich gibt es Menschen, die aus ästhetischen Gründen oder weil sie diese Form anspricht, diese Messe besuchen. Es gibt andere, die sich als die "real Catholics" verstehen und deswegen dorthin gehen. Und es gibt sicher auch Leute, die das als Mittel nutzen, um sich von Papst Franziskus zu distanzieren. 

DOMRADIO.DE: Sie haben gerade eben erwähnt, dass die Polarisierung in der US-Kirche besonders stark ist. Woran liegt das? 

Benini: Zunächst muss man sagen, dass schon in der US-Gesellschaft eine Polarisierung klar vorherrscht. Man denke nur an das Zweiparteiensystem: Demokraten gegen Republikaner. Da ist automatisch eine stärkere Polarisierung da, als wir das in Deutschland haben. Das wirkt sich auch auf die Kirche aus. 

Wobei diese Polarisierung in der Kirche nicht erst ein rezentes Phänomen ist, sondern auch schon unter Johannes Paul II. in gewissen Kreisen gegeben war, die ihn zwar geliebt haben, aber seine soziale Botschaft nicht übernehmen wollten. Und nun Papst Franziskus' Ideen von der Kirche, die an die Ränder geht, sein soziales Engagement für die Schwachen, oder seine Rede von der Kirche als Feldlazarett – das passt überhaupt nicht zu dem ökonomischen Denken, das in diesen Kreisen in den USA vorherrscht. 

Dort ist man der Meinung, dass die reine Marktwirtschaft die beste Wirtschaftsform ist, ohne die vielen Sozialausgaben. Dieses intellektuelle Gedankengut hat einen Neokonservatismus in den USA hervorgebracht, der sich dann auch in der Liturgie spiegelt.

Ich möchte aber hinzufügen, dass nicht nur wir die Kirche in den USA als polarisiert wahrnehmen, sondern umgekehrt in den USA die Kirche in Deutschland als polarisiert angesehen wird, innerhalb des Synodalen Weges, oder zwischen der Mehrheit der deutschen Bischöfe und Rom. 

Marco Benini

"Der Papst ist dort eine ganz wichtige Person im Katholizismus."

DOMRADIO.DE: Sehr starke Papstkritiker sind ja zum Beispiel Kardinal Burke, Bischof Strickland oder auch Erzbischof Vigano. Das ist der ehemalige Apostolische Nuntius in den USA. Sie eint eine Vorliebe für die Alte Messe und die scharfe Kritik am Papst. Sind die eigentlich dann in der US-Kirche nur ein Randphänomen, das zwar laut, aber klein ist? Oder gibt es doch eine signifikante Anzahl von Gläubigen, die hinter ihnen steht? 

Kirche in Amerika / © Rolf E. Staerk (shutterstock)

Benini: In der Zeit, in der ich in den USA war, von 2018 bis 2021, würde ich nicht sagen, dass es grundsätzlich eine Papstkritik gab. Der Papst ist dort eine ganz wichtige Person im Katholizismus. Seine Aussagen wurden auch in Predigten mehr zitiert als hier. Deswegen würde ich eher sagen, dass es ein kleines, aber gut vernetztes Segment ist, das auch im Internet sehr präsent ist. 

Aber das repräsentiert nicht das Leben in einer normalen Pfarrei. Außerdem ist für mich beeindruckend, wie lebendig viele Pfarreien in den USA sind und welchen hohen Stellenwert die Sakramente haben. Das Durchschnittsalter der Teilnehmer ist auch jünger als bei uns.

DOMRADIO.DE: Dann schauen wir noch mal auf die Liturgie als solches, und die kennt ja nun selbst gewisse demonstrative Ausdrucksmöglichkeiten, wenn man etwa an die Fronleichnamsprozession denkt. Aber dass man jetzt Papstkritiker an der Art der Auswahl des Messbuchs erkennt, ist das im Sinne der Liturgie? 

Benini: Nein, ganz eindeutig nicht. In der Liturgie geht es in erster Linie um Begegnung zwischen Gott und Mensch, um die Verehrung Gottes und zugleich um die Heiligung des Menschen, wie es das Zweite Vatikanum in der Liturgiekonstitution sagt.

Liturgie ist die Feier unseres Glaubens, Begegnung, Beziehung, Dialog. Und insofern steht das im Vordergrund. Die Fronleichnamsprozession hat auch eine nach außen hin gerichtete Wirkung, die ist aber nicht vorrangig. Wenn jemand Liturgie nutzt, um Kirchenpolitik zu betreiben, dann geht das am Kern der Liturgie vorbei.

Marco Benini

"Natürlich ist Liturgie immer auch Ausdruck eines Kirchenverständnisses, eines Kirchenbildes."

DOMRADIO.DE: Sie haben es gesagt: In der Liturgie geht es um Gott, um Menschen, die ihren Glauben leben wollen. Könnte man dann fordern, dass die Liturgie generell möglichst wenig Politik beinhalten haben soll? Doch es gibt ja auch zum Beispiel sehr sozialkritische Texte in manchen Messen…. 

Benini: Grundsätzlich sollte Kirchenpolitik kein Faktor in der Messe sein, auch nicht in der Predigt oder in den Fürbitten. Natürlich sprechen die Texte der Heiligen Schrift auch soziale Dinge an, und zwar zu Recht. Das ist aber noch nicht Kirchenpolitik, sondern das ist soziales Engagement, was aus der Liturgie herauskommt. 

Übrigens ist auch das ein Element, das gerade in den USA stark ist: Liturgie soll auch im sozialen Handeln deutlich werden. Und natürlich ist Liturgie immer auch Ausdruck eines Kirchenverständnisses, eines Kirchenbildes. Insofern kann die Liturgie – auch wenn sie es nicht soll – kirchenpolitische Einstellungen transportieren. 

Aber wichtig scheint mir zu fragen, was ist das Zentrale? Es geht um die Feier von Leben, Tod und Auferstehung Jesu Christi und nicht um die Kirche an sich. Kirche ist das Zusammenkommen um Christus und nicht Selbstzweck der Liturgie. 

DOMRADIO.DE: Dann gibt es ein Detail, was immer wieder auch bei Social Media auffällt. Zum Beispiel Kardinal Burke mag das Tragen von prachtvoller, liturgischer Kleidung in der Öffentlichkeit, etwa die Cappa Magna, ein schleppenartiger Umhang. Was haben liturgische Gewänder in der Öffentlichkeit zu suchen? Oder ist die Cappa Magna gar kein liturgisches Gewand? 

Kardinal Burke in der Cappa Magna (Nadacia Slovakia Christiana)

Benini: Also zunächst mal finde ich, dass die Cappa Magna wirklich aus der Zeit gefallen ist. Sie gehört zur Chorkleidung, wird aber vom Bischof nicht in der Messe selbst getragen. Die Cappa Magna wird heutzutage eher als kirchenpolitischen Statement genutzt. Grundsätzlich ist liturgische Kleidung aber Ausdruck des liturgischen Dienstes. 

Das heißt, es ist auf der einen Seite eine Abgrenzung von der normalen Alltagskleidung, und damit signalisiert es, dass es um eine gottesdienstliche Handlung geht und hat einen festlichen Charakter. Liturgische Kleidung hat aber nichts mit Pomp und Hervorhebung der eigenen Persönlichkeit zu tun, sondern eigentlich drückt sie das Gegenteil aus: "Ich als Person trete zurück und ich stelle mich in den Dienst, den ich übernehme."

Marco Benini

"Es war notwendig, diesen Schritt zur Einschränkung zu tun."

DOMRADIO.DE: Es gibt Menschen, die gerne die sogenannte Alte Messe feiern wollen. Sind die Einschränkungen von Papst Franziskus ein Weg, die Kirche aus der Polarisierung etwas zu befreien? Oder haben Sie eher den Eindruck, dass die Spannungen dadurch verschärft worden sind? 

Benini: Papst Franziskus wollte die Einheit der Kirche stärken. Und ich glaube, es war notwendig, diesen Schritt zur Einschränkung zu tun. Das Schreiben "Traditionis custodes" dazu war aber sehr scharf formuliert, es wurde dann wieder leicht zurückgenommen. 

Ich bin überzeugt, es ist sinnvoll, dass wir die Form der Liturgie, die im Auftrag des Zweiten Vatikanums reformiert worden ist, tatsächlich als die Gottesdienstform der katholischen Kirche haben. Und die jetzige Form der Messe ist ja auch schön zu feiern; es kommt nur darauf an, dass wir sie richtig und gut feiern. Dann wirkt sie als Begegnung mit Gott und macht den Menschen, der an der Liturgie teilnimmt, innerlich froh. 

Das Interview führte Mathias Peter.

Tridentinische Messe

Als tridentinische Messe bezeichnet man den lateinischsprachigen Gottesdienst im überlieferten alten Ritus, wie er nach dem Konzil von Trient (1545-1563) für die katholische Kirche weltweit vorgeschrieben war. Diese Messbücher wurden nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil (1962-1965) schrittweise durch eine erneuerte Liturgie ersetzt, die in der Regel in der jeweiligen Landessprache gefeiert wird. Gegen diese Liturgiereform wandte sich unter anderen die traditionalistische Piusbruderschaft um den französischen Erzbischof Marcel Lefebvre (1905-1991).

Hochamt im tridentinischen Ritus / © Wolfgang Radtke (KNA)
Hochamt im tridentinischen Ritus / © Wolfgang Radtke ( KNA )
Quelle:
DR