Literaturnobelpreis für Herta Müller

Literarische Trauerarbeit

Die Berliner Autorin Herta Müller erhält den diesjährigen Literaturnobelpreis. Das teilte die Schwedische Akademie am Donnerstag in Stockholm mit. Bei britischen Buchmachern galt Müller neben dem israelischen Autor Amos Oz als Top-Favoritin auf den begehrtesten Literaturpreis.

Autor/in:
Christoph Arens
 (DR)

Rumänien 1945: Die deutsche Bevölkerung lebt in Angst. "Es war 3 Uhr in der Nacht zum 15. Januar 1945, als die Patrouille mich holte. Die Kälte zog an, es waren -15º C." So beginnt ein 17-Jähriger den Bericht über seine Deportation in ein Lager nach Russland.

Anhand seines Lebens erzählt Herta Müller von dem Schicksal der deutschen Bevölkerung in Siebenbürgen. Fast 80.000 Rumäniendeutsche wurden nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs in die Sowjetunion deportiert. Das jüngste Werk der 56-Jährigen, der Roman "Atemschaukel", wurde für den Deutschen Buchpreis nominiert und gilt als Favorit für die Preisverleihung am kommenden Montag. Doch das tritt jetzt in den Hintergrund, weil die in Berlin lebende Schriftstellerin am Donnerstag in Stockholm den Literaturnobelpreis zugesprochen bekam.

"Die Literatur geht dorthin zurück, wo die stärkste Beschädigung sitzt", hat die zierliche Schriftstellerin einmal gesagt. "Man sucht sich sein Thema doch nicht aus wie ein paar Schuhe." In ihren in mehr als 20 Sprachen übersetzten Büchern erzählt Müller von lähmender Angst im Alltag der Diktatur, von Anpassung, Denunziation, Folter, Mord, aber auch vom Widerstehen. Sie erzählt von ihren eigenen schmerzhaften Erlebnissen. Und davon, wie Sprache zum Instrument der Unterdrückung, aber auch als Möglichkeit des Widerstands und der Selbstbehauptung dienen kann.

Herta Müller wurde 1953 in Nitzkydorf im deutschsprachigen rumänischen Banat geboren. Nach dem Abitur studierte sie an der Universität von Temeschwar Germanistik und rumänische Literatur. Ab 1976 arbeitete sie als Übersetzerin in einer Maschinenfabrik, wurde allerdings 1979 nach ihrer Weigerung, mit der rumänischen Securitate zusammenzuarbeiten, entlassen.

Ihr erstes Buch "Niederungen" lag vier Jahre beim Verlag und wurde 1982 nur zensiert veröffentlicht. 1984 erschien es in der Originalfassung in Deutschland. Herta Müller konnte danach in Rumänien nicht mehr veröffentlichen. Nach wiederholten Verhören und Hausdurchsuchungen reiste sie 1987 mit ihrem damaligen Ehemann, dem Schriftsteller Richard Wagner, in die Bundesrepublik aus. In den folgenden Jahren erhielt sie eine Reihe von Lehraufträgen als "Writer in residence" an Universitäten im In- und Ausland. Flucht, Entwurzelung und Sehnsucht nach Heimat thematisierte sie in den seit dieser Zeit entstandenen Werken.

Kritiker haben ihr vorgehalten, sie sei in ihrem stattlichen Werk auf die Vergangenheit und das Leben in der Diktatur fixiert. Ceaucescu sei tot. Müller hat darauf im Sommer mit einem Artikel in der Wochenzeitung "Die Zeit" geantwortet. Unter der Überschrift "Die Securitate ist noch im Dienst" beschreibt sie, wie sie durch Diskreditierungsmaßnahmen auch in Deutschland unglaubwürdig gemacht werden sollte. So wurden etwa von der Securitate enworfene Briefe an deutsche Rundfunkanstalten geschickt, in denen sie als Agentin beschuldigt wurde.

20 Jahre nach dem Fall der Mauer und der Wende in Osteuropa ehrt das Nobelpreiskomitee eine Schriftstellerin, deren Werk auch als Mahnung verstanden werden kann, gegen jede Form von Totalitarismus in der Gesellschaft anzukämpfen.